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GEW-Mitglieder im Fokus

Annett Berthold: „Superheldin“ in kämpferischem Rot

Annett Berthold hat sich beim jüngsten Tarifkonflikt ganz maßgeblich eingebracht: auf Bundesebene und unmittelbar vor Ort in ihrer Heimatstadt Halle. Voller Herzblut und Leidenschaft engagiert sich die Erzieherin und Heilpädagogin insbesondere für gehandicapte Kinder – und für mehr Taten anstelle ewiger Reden.

Gewiss kein Zufall, dass sich Annett Berthold bei der Kleiderwahl für unseren Interview- und Fototermin ausgerechnet für Rot entschieden hat – die mit Kämpfen und Kampfesmut assoziierte Farbe. Denn der Hallenserin wohnt ein ausgeprägter kämpferischer Zug inne: Als eines von vier aus Sachsen-Anhalt entsandten Mitgliedern der Bundestarifkommission und als unermüdliche Streiterin an der Basis hat die ausgebildete Kindergärtnerin und Erzieherin sowie diplomierte Heilpädagogin sich seit Februar dieses Jahres ganz maßgeblich bei den Arbeitskämpfen und Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst engagiert – mit Erfolg, wie sie nach dem jüngst erzielten Abschluss zufrieden konstatiert: „Das ist das beste je erreichte Ergebnis. Das Plus von 10,5 Prozent macht für uns Erzieher monatlich gute 260 Euro mehr“, rechnet sie konkret vor. Auch wenn sie sehr wohl darum weiß, dass damit – logischerweise und sozusagen indirekt – natürlich auch eine Aufwertung ihres Berufes verbunden ist, hat sie doch eine ganz grundsätzliche Kritik: „Gleich mir arbeiten unzählige Erzieherinnen und Erzieher mit so viel Herzblut und Leidenschaft ,am Kind‘. Dass es nicht zuallererst darum und um inhaltliche wie strukturelle Verbesserungen geht, sondern immer nur um Geld, schmerzt mich.“

Die 55-Jährige, die auf ihre bereits zu DDR-Zeiten erworbene Qualifikation als Kindergärtnerin 1993 noch das Erzieherinnen-Diplom „draufschnallte“, bezeichnet sich als „Gewerkschaftsmitglied von Anfang an“. Die GEW habe sie sich „ganz bewusst ausgesucht, weil ich in einer Bildungsgewerkschaft sein wollte“. Heute obliegt ihr im GEW-Stadtverband Halle nicht nur federführend die Leitung und Koordination der Arbeitskämpfe, sondern auch die Hauptverantwortlichkeit für die Fachgruppe Kita und Jugendhilfe. Wie ihr Weg in diese zweifellos herausgehobenen Positionen gewesen sei? „Ich bin da immer so ein bisschen ,reingeschubst‘ worden und habe dann das Beste draus gemacht“, sagt sie so fröhlich wie bescheiden.

Es verblüfft, dass Annett Berthold sich selbst als einen Menschen charakterisiert, der „ganz schlecht Nein sagen kann“. Ob ebendies denn nicht eine absolute Grundvoraussetzung sei, um in den rauen Stürmen einer tariflichen Auseinandersetzung bestehen zu können? „Da haben Sie recht – das ist sozusagen mein Übungsfeld jetzt“, antwortet sie – wieder mit einem beherzten Lachen. Es habe immer wieder Menschen gegeben, die sie für eine bestimmte Aufgabe „entdeckt“ und ein schlummerndes Potenzial in ihr gesehen hätten, von dem sie selbst noch gar nichts wusste. So sei es nicht nur im halleschen GEW-Stadtverband mit der Übertragung der Arbeitskampfleitung vor Ort an sie gewesen („Du kannst die Leute bewegen!“), sondern auch während ihrer beruflichen Laufbahn: „Ein Fachberater und Coach spiegelte mir, dass ich eine ungewöhnlich starke Kompetenz für Kinder mit Handicaps respektive erhöhtem Förderbedarf besitze“, berichtet die Hallenserin. Dieser Impuls habe sie nicht nur veranlasst, sich berufsbegleitend noch drei Jahre zur Heilpädagogin ausbilden zu lassen, sondern sie auch zu einem langjährigen beruflichen Engagement beim Aufbau und Betrieb eines Kind-Eltern-Zentrums insbesondere für Familien mit Migrationshintergrund in einem sozialen Brennpunkt im Stadtteil Halle-Neustadt geführt. „Mich trieb und treibt die Frage um: Warum sind diese Kinder nicht glücklich – was brauchen die?“, sagt die zweifache Mutter, die heute in der Integrativen Kita „Kinderland“ in der Saalestadt tätig ist. Der Tonfall ihrer Stimme ist derweil zunehmend leidenschaftlich geworden: Eben weil von Seiten der Politik oft nur Gerede und Beschwichtigung komme, sei gewerkschaftliches Engagement so wichtig: „Die bloße Erkenntnis, dass vieles im Argen liegt, ändert genauso wenig wie ewiges Rumgemeckere. Wir müssen etwas tun, nicht nur reden“, appelliert Annett Berthold und verweist mit Stolz darauf, dass sie während des jüngsten Arbeitskampfes an die 20 neue Mitglieder für die GEW gewonnen habe.

Ihr dortiges Engagement sei übrigens längst nicht die einzige ehrenamtliche Betätigung, der sie nachgehe: „Ich bin Personalratsmitglied bei der Stadt Halle, engagiere mich in der Passendorfer Kirche unmittelbar in meinem Wohnumfeld, statte unter dem Dach des Vereins ,Pro Handicap‘ mit meinen Kita-Steppkes und mit Gitarre unterm Arm Demenzkranken im Heim regelmäßig singende-klingende Besuche ab und betreue ein Pflegekind, wenn dessen psychisch erkrankte Mutter sich in Therapie befindet“, zählt Annett Berthold auf. Nach einer mehrmonatigen, gesundheitsbedingten Zwangspause vor drei Jahren – ihre Akkus waren komplett leergelaufen – hat Annett Berthold, die immer für andere da sein will, nun auch die Fürsorge für sich selbst stärker im Blick: Mit ihrem Mann Ralf gönnt sie sich zu Hause gemütliche Kochabende; dreimal pro Jahr startet das Paar per Wohnmobil zu ausgedehnten Erkundungstouren etwa durch die Niederlande, Italien, Kroatien, Schottland oder England.

Doch Annett Berthold wäre nicht Annett Berthold, wenn sie nicht auch am Ende unseres Gespräches noch ein Signal aussenden wollte: „Echte Superhelden gehen in den Kindergarten – man nennt sie auch Erzieher“, steht auf der Tasse, die sie unversehens so gar nicht zufällig „hervorzaubert“. Ob das nicht ein prima Fotomotiv sei, fragt sie rhetorisch: die Frau im kämpferisch roten Kleid.

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