Warum ist ein Entfristungsgesetz sinnvoll?
Befristungen führen in eine Sackgasse
Als 2007 das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) durch die große Koalition von CDU und SPD verabschiedet wurde, geschah dies unter der Maßgabe, dass es für die besonderen Bedingungen in der Hochschul- und Wissenschaftslandschaft eines Gesetzes bedürfe, das die dort herrschenden Arbeitsbedingungen widerspiegelt. Fünfzehn Jahre später kann man sagen, das WissZeitVG hat zu einer Befristungspraxis geführt, die zunehmend Frust unter den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen nicht nur an den Hochschulen, auch an allen außerhochschulischen Wissenschaftseinrichtungen verursacht.
Das WissZeitVG bildet seit seinem Bestehen die Rechtfertigung von Kurzeitverträgen und Kettenbefristungen in allen Bereichen, die mit hochschulischer Lehre und wissenschaftlichem Arbeiten auch nur im Entferntesten in Verbindung gebracht werden können. Der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft hat sich in den Jahren seit der Einführung des Gesetzes kontinuierlich erhöht und liegt für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an den Universitäten bei mittlerweile 84 Prozent. An den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) sind es mit 78 Prozent nur unerheblich weniger. Insgesamt hat sich die Befristungsdauer seit der Novelle des Gesetztes 2016 nur minimal verändert, nachdem die Dauer der Befristungen sich noch kurz nach der Neugestaltung merklich verlängert hatte, ist sie parallel zur Corona-Pandemie wieder weitgehend auf das Niveau von 2015/2016 zurückgefallen. So verwundert es wenig, dass die Evaluation des WissZeitVG durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die vor Kurzem veröffentlicht worden ist, ergeben hat, dass 42 Prozent der befristeten Arbeitsverträge an Universitäten kürzer als ein Jahr laufen. Analog sind dies an den HAW 45 Prozent. Das Fehlen einer Option auf eine mögliche automatische Verlängerung, ob als Nachteilsausgleich – wie die familienpolitische oder inklusionspolitische Komponente – oder auch weil die Höchstbefristungsdauer für die Qualifikationsphase noch nicht erreicht ist, macht sich hier für Wissenschaftler*innen schmerzhaft bemerkbar. Einen Automatismus, der den Arbeitgeber zur Verlängerung bei vorhandenen finanziellen Ressourcen verpflichtet, kennt das Gesetz nicht. Die Arbeitgeber machen in der Regel nicht von den freiwilligen Regelungen, die das Gesetz bereits bietet, Gebrauch.
Erschwerend kommt seit Neuem die Auslegung des § 2 des Wiss- ZeitVG durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hinzu. Das stellte in einem Anfang Februar dieses Jahres veröffentlichten Urteil fest, dass nicht nur die Promotion oder Habilitation vom Arbeitgeber als Befristungsgrund herangezogen werden kann. Nach Auffassung des BAG kann auch jede Art der Qualifikation mit §2 Abs. 1 Satz 1 und 2 begründet werden, die sich über den Rahmen der wissenschaftlichen Qualifikation hinaus wirtschaftlich verwerten lässt, also zu einer Beschäftigung außerhalb der Wissenschaft qualifiziert oder befähigt. Dazu heißt es im Leitsatz des Urteils: „Das ist jenseits einer angestrebten Promotion oder Habilitation auch dann der Fall, wenn mit der befristeten Tätigkeit eine wissenschaftliche oder künstlerische Kompetenz gefördert wird, die in irgendeiner Form zu einer beruflichen Karriere auch außerhalb der Hochschule befähigt“ (BAG 7 AZR 573/20). Die Auslegung des BAG hinsichtlich des Befristungsgrundes zeigt, dass das eigentliche Problem in der Nachlässigkeit des Gesetzgebers bei der Novellierung 2016 liegt, indem dieser im Gesetz einen erheblichen Spielraum bei der Interpretation der Qualifikationsgründe zuließ.
Die zwei aufgezeigten Beispiele von zum einen nicht verpflichtenden Nachteilsausgleich und zum anderen interpretatorischem Spielraum bei der Begründung der Befristung zeigen deutlich auf, dass sich das WissZeitVG auch nach der Novelle von 2016 in einer Sackgasse befindet und eine neuerliche Novelle, wie es sich die derzeitige Bunderegierung vorgenommen hat, zügig angegangen werden muss. Deshalb fordert die GEW, das WissZeitVG zu einem Wissenschaftsentfristungsgesetz weiterzuentwickeln, das Wissenschaftler*innen in allen Qualifikationsphasen ein Perspektive gibt, über einen längeren Zeitraum und ohne unnötigen psychischen Druck forschen und lehren zu können, auch unterhalb der Professur.
Um ein Ausweichen der Arbeitgeber auf andere arbeitsrechtliche Grundlagen zu verhindern, muss es öffentlichen Arbeitgebern zudem verboten werden, auf die sachgrundlose Befristung nach Teilzeitbefristungsgesetzt (TzBfG) zurückgreifen zu können. Diese Form der Befristung muss grundsätzlich aus dem Gesetzt gestrichen werden, damit das Befristungsunwesen ein Ende hat. Die Ziele einer solchen Reform müssen Dauerstellen für Daueraufgaben in Forschung, Lehre und Wissenschaftsmanagement sein. Weiterhin müssen Mindeststandards für Zeitverträge festgelegt werden, sofern eine Befristung überhaupt gerechtfertigt ist.
Aus diesem Grund hat die GEW acht Forderungen für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz aufgestellt:
- eine Engführung des Qualifizierungsbegriffs
- die Verankerung von Mindestlaufzeiten für die Qualifizierungsbefristung
- der Ausschluss einer Befristung nach der Promotion ohne Dauerperspektive
- eine klare Abgrenzung des personellen Geltungsbereichs
- die Trennung von Projektbefristung, Qualifizierungsbefristung und Daueraufgaben
- eine verbindliche Ausgestaltung der Verlängerungsoptionen zum Nachteilsausgleich
- die Aufhebung der Höchstbefristungsdauer für studentische Beschäftigte
- die ersatzlose Streichung der Tarifsperre