Ergebnisse der PISA-Studie 2022
Beispielloser Rückgang der Kenntnisse und Fähigkeiten
In der GEW wird die PISA-Studie seit ihrer ersten Auflage im Jahr 2000 sehr ernst genommen. Nach dem Schock bei der ersten Erhebung sah es so aus, als ob dies auch bei den Bildungsverantwortlichen in Bund und Ländern so wäre. Denn tatsächlich schienen sich Anstrengungen zur Verbesserung der Lage auszuzahlen, bis ca. 2012/2015 wurden in allen drei Kompetenzbereichen (Mathematik, Lesekompetenz, Naturwissenschaften) leichte Verbesserungen erzielt. Diese leicht positive Entwicklung hat sich 2018 aber wieder ins Negative verkehrt und hat sich bis heute so fortgesetzt.
Verschlechterung auf ganzer Linie
Insgesamt weisen die Ergebnisse von 2022 in allen drei Kompetenzbereichen die niedrigsten Werte aus, die für Deutschland jemals im Rahmen von PISA gemessen wurden. Die Differenz zwischen 2018 und 2022 in Mathematik und Lesen macht ungefähr den Lernfortschritt von Fünfzehnjährigen in einem gesamten Jahr aus. Anders ausgedrückt: Wollten die heute Fünfzehnjährigen die gleichen Ergebnisse wie die Fünfzehnjährigen aus dem Jahr 2018 vorweisen, müssten sie ein Jahr länger zur Schule gehen. Diese äußerst bedenkliche Entwicklung lässt sich weder bei den leistungsstarken, noch bei den leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern explizit verorten, sondern betrifft alle gleichermaßen. Das führt am Ende dazu, dass der Anteil von Schülerinnen und Schülern, die nicht einmal das Grundkompetenzniveau erreichen, immer größer wird. Dieser Anteil hat gegenüber 2012 im Lesen und den Naturwissenschaften um elf Prozent und in Mathematik sogar um zwölf Prozent zugenommen. Dieses Ergebnis deckt sich erwartungsgemäß mit immer wieder geäußerten Stimmen aus der Wirtschaft, dass es Bewerber*innen um Ausbildungs- oder auch Studienplätze an den einfachsten Fähigkeiten mangele.
Im internationalen Vergleich allerdings hat sich nicht viel geändert. Deutschland liegt bei den Naturwissenschaften knapp über dem Durchschnitt, bei Mathematik und Lesen nahe am Durchschnitt. Von den Spitzenreitern Singapur, Japan, Korea oder auch Estland trennen uns große Kompetenzunterschiede.
Sozial hoch selektiv geblieben
Das größte Problem allerdings – und das ist seit mehr als 20 Jahren unverändert – ist die Abhängigkeit der schulischen Leistungen der Kinder und Jugendlichen vom Sozialstatus ihres Elternhauses. Daran hat sich rein gar nichts geändert – trotz aller Beteuerungen, dass man diesen Skandal längst beendet haben wollte. Die Lebens- und Berufschancen von sozial benachteiligten Kindern sind nach wie vor problematisch und für die Schulpolitik beschämend. Von diesem Problem sind mindestens 25 Prozent aller Schüler*innen betroffen. Chancengerechtigkeit kommt in Deutschland in der Bildung fast nicht vor. PISA 2022 stellt fest, dass nur etwa zehn Prozent der sozioökonomisch benachteiligten deutschen Schülerinnen und Schüler sich im oberen Viertel der Leistungsverteilung platzieren können. Diese Schüler*innen können als im schulischen Bereich resilient betrachtet werden, weil sie trotz ihrer sozioökonomischen Benachteiligung Spitzenleistungen erzielen. Der Abstand zwischen privilegierten und benachteiligten Schüler*innen ist in Deutschland größer als im OECD-Durchschnitt. Noch schärfer trifft dieses Problem die Schüler*innen mit Migrationshintergrund. Dort sind 42 Prozent davon betroffen!
Ablenkung, Klassenwiederholung, Mobbing
PISA zeigt aber auch noch andere Probleme auf. Zum Beispiel lernen viele Schüler*innen in Mathematik in einem Klima, das dem Lernprozess nicht förderlich ist. Rund 28 Prozent geben an, in den meisten oder sogar in allen Unterrichtsstunden nicht ungestört arbeiten zu können. 38 Prozent sagen von sich selbst, dass sie der Lehrkraft nicht zuhören, weil sie abgelenkt sind, meist durch digitale Geräte (Handynutzung). Schüler*innen fühlen sich in Schulen seltener abgelenkt, wenn die Handynutzung auf dem Schulgelände untersagt ist.
19 Prozent der Schüler*innen geben an, in ihrem Schulleben mindestens einmal eine Klasse wiederholt zu haben. Hier liegt Deutschland weit über dem OECD-Durchschnitt (neun Prozent). Klassenwiederholungen sind in leistungsstarken Systemen tendenziell weniger verbreitet.
21 Prozent sowohl der Mädchen als auch der Jungen geben an, mehrmals im Monat Opfer von Mobbing geworden zu sein. Auch hier liegt Deutschland ziemlich genau im OECD-Durchschnitt. In leistungsstarken Systemen sind Schüler*innen auch hier tendenziell besser vor Mobbing und anderen Risiken geschützt.
GEW-Positionen zum Ergebnis der PISA-Studie
Die GEW mahnt mit Blick auf die ernüchternden PISA-Befunde dringend eine konsequente individuelle Förderung der Kinder und jungen Menschen an. Dafür müssten die Anstrengungen, den Lehr- und Fachkräftemangel effektiv zu bekämpfen, deutlich erhöht werden. Zudem schlägt die GEW einen Masterplan gegen Bildungsarmut und soziale Ungerechtigkeit vor. Dass sich die Abhängigkeit der schulischen Leistungen der Kinder und Jugendlichen vom Elternhaus seit über 20 Jahren nicht verringert hat, bezeichnetet die Bildungsgewerkschaft als Skandal. „Anstatt immer wieder die Alarmglocken neu zu läuten und das ‚Scheitern‘ von Schülerinnen und Schülern zu beklagen, müssen wir die Fehler im System analysieren – und beheben“, betonte Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule. Mit Blick auf die frühe Selektion, die sozial ungerechte Finanzierung des Schulsystems und den eklatanten Personalmangel unterstrich sie: „Der ‚Output‘ wird nicht besser, wenn der ‚Input‘ nicht stimmt. Die Schülerleistungen werden sich nie in der Breite verbessern, wenn wir die Kinder weiterhin so früh auf hierarchische Schulformen aufteilen. Es ist ein Fehler, zuzulassen, dass sich soziale und personelle Probleme in bestimmten Schulen stark konzentrieren. Wer hier zu wenig unternimmt oder gar spart, muss sich nicht wundern, dass so viele Schülerinnen und Schüler durchs Netz fallen und später dann Fachkräfte fehlen.“