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Arbeitgeberperspektive zur Belastungssituation

„Das Arbeiten unter diesen Bedingungen führt zu Unzufriedenheit“

Cornelia Kurowski, ursprünglich Fachberaterin mit pädagogischem Hintergrund, ist seit 2009 Geschäftsführerin der Volkssolidarität Kinder-, Jugend- und Familienwerk gGmbH Sachsen-Anhalt in Magdeburg und verantwortet 27 Kindertagesstätten sowie zwei Jugendfreizeitzentren. Wir haben Cornelia Kurowski gefragt, wie sie als Arbeitgeberin den Fachkräftemangel erlebt.

Frau Kurowski, als Geschäftsführerin sind Sie der Kopf der Personalabteilung in der Volkssolidarität, die ein freier Träger vieler Kitas im Land ist. Können Sie in Ihrer Position die Auswirkungen des Fachkräftemangels spüren?

Aktuell gibt es aus unserer Sicht keinen Fachkräftemangel mehr. Die Kinderzahlen im Kleinkindbereich sind rückläufig. Die Stellen der Kolleg*innen, die in den Ruhestand gegangen sind, konnten wir nachbesetzen, denn in den vergangenen Jahren haben viele junge Menschen ihre Ausbildung abgeschlossen. In unserem Unternehmen waren in den letzten fünf Jahren konstant zwischen 372 und 381 Mitarbeitende beschäftigt. Vom Fachkräftemangel in Persona können wir also nicht sprechen.

Aber in der Alltagssituation können wir aufgrund hoher Fehlzeiten einen deutlichen Fachkräftemangel spüren. Wir haben Stand Ende August für jede*n Beschäftigte*n 23,6 Prozent Fehltage. Diese beinhalten Urlaub und Krankheit. Das sind 18 Urlaubs- und 22 Kranktage pro Person. Dazu gehört auch langzeiterkranktes Personal. Hinzu kommen Fort- und Weiterbildungstage, die für die Kolleg*innen wichtig sind. Hier geraten wir in eine Abwärtsspirale, denn wenn Kolleg*innen im Dienst fehlen, haben wir plötzlich einen Betreuungsschlüssel von 1:10 oder 1:11. Wenn die Kolleg*innen mit 22 kleinen Kindern alleine dastehen, hat das selbstverständlich auch gesundheitliche Auswirkungen auf das Personal.

 

Was bräuchte es, um dieser Situation entgegenzuwirken?

Wir brauchen ein Viertel mehr Zeit für pädagogische Arbeit, sodass die Kolleg*innen auch mal Entlastungsphasen haben und ihnen Zeit für Vor- oder Nachbereitung, für Elterngespräche und vieles mehr eingeräumt werden kann. Wir alle, nicht nur die Familien, haben die Erwartungshaltung, dass die Kinder richtig beobachtet und gefördert werden. Hier ist unter dem enormen Zeitdruck der Anspruch an die pädagogischen Fachkräfte extrem hoch. Für all diese Dinge braucht es Zeit. Und es fällt den Kolleg*innen in hochbelasteten Situationen schwer, von den Zielen und Idealen ihrer Arbeit einen Schritt zurückzutreten.

 

Wie bewerten Sie unter diesen Voraussetzungen die Qualität der Arbeit?

Wenn alle Kolleg*innen gesund wären, gäbe es ein entspannteres Arbeiten. Der Betreuungsschlüssel sollte endlich angepasst werden, sodass sich die Erzieher*innen im Krippenbereich nicht mit fünf oder sechs Kindern beschäftigen müssen, sondern im Idealfall nur mit drei oder vier. Wir sollten das Tempo der Kinder annehmen, das gibt unser Betreuungsschlüssel nicht her. Das wiederum schränkt die pädagogischen Angebote und letztlich auch die Teilhabe der Kinder am öffentlichen Leben ein. Angebote können nur geschaffen werden, wenn es dafür zeitliche und personelle Ressourcen gibt. Wenn beispielsweise der Besuch in einer Bibliothek nicht stattfinden kann, wird der Erfahrungshorizont der Kinder eingeschränkt. Dies führt natürlich auch zu einer Situation der Unzufriedenheit bei den Kolleg*innen. Die äußeren Rahmenbedingungen sind für sie in Ordnung, da wurde in der Vergangenheit auch viel gut und richtig gemacht. Doch ein gutes Gehalt nützt beispielsweise nichts, wenn sie dem Qualitätsanspruch ihrer Arbeit nicht mehr gerecht werden können.

 

Waren Sie als Arbeitgeberin in der Vergangenheit gezwungen, aufgrund schlechter Betreuungssituation Maßnahmen zu ergreifen?

Ja, unsere Einrichtungen haben eine Öffnungszeit von 6 bis 18 Uhr, sodass die Eltern, teilweise im Schichtdienst, ihrer Arbeit nachgehen können. Wir haben gemeinsam mit dem An-Institut Quita der Hochschule Magdeburg-Stendal einen Maßnahmenkatalog zur Orientierung bei Personalmangel entwickelt. Dieser regelt zum Beispiel, dass Hausaufgaben bei Schulkindern nicht begleitet werden können oder pädagogische Angebote wie Ausflüge oder Spaziergänge wegfallen. Wir bitten Familien, dass sie ihre Kinder für eine kürzere Zeit bei uns abgeben und wir mussten auch schon Eingewöhnungszeiten verschieben oder – abgestimmt mit den Elternkuratorien – unsere Öffnungszeiten verkürzen. All diese Maßnahmen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Familien.

 

Was muss sich im KiFöG ändern, damit sich die Personalsituation endlich bessert?

Sachsen-Anhalt hat in einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung die schlechtesten Ergebnisse. Der Personalschlüssel muss verbessert werden. Es müssen unbedingt für den Alltag Reserven eingeplant werden, sodass wir auch in Zeiten hoher personeller Ausfälle qualitativ arbeitsfähig sind.

Das Kompetenzzentrum Frühe Bildung der Hochschule Magdeburg-Stendal arbeitet an einem neuen Bildungsprogramm, das nun auch den Aspekt der Digitalisierung in den Blick nimmt. Auch hier muss den Fachkräften Zeit für Weiterbildungen eingeräumt werden, damit sie sich mit den Geräten und Funktionalitäten vertraut machen können.

 

Weshalb waren auch Sie beim Kita-Aktionstag in Magdeburg vor Ort?

Wir wollten einfach – für uns und für die Kinder – Flagge zeigen. Wir demonstrieren nicht, weil wir besseres Gehalt fordern, sondern wir wollen endlich die Bedingungen in unseren Bildungseinrichtungen verbessern – und zwar für alle!

Kontakt
Christiane Rex
Gewerkschaftssekretärin für Information und Kommunikation & Pressesprecherin GEW Sachsen-Anhalt
Adresse Kleiner Berlin 2
06108 Halle (Saale)
Telefon:  0345 204 08 14
Mobil:  0151 578 414 25