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Kinder- und Jugendliteratur

Das ist auch meine Welt!

Quelle: BELTZ

Ein besonderes Sachbuch über Umweltfragen, das nicht nur aufklärt, sondern auch zum Diskurs herausfordert. Die Zukunft der Menschheit ist eng an die Frage gebunden, ob es uns gelingen wird, die aktuell drängenden Umweltprobleme zu lösen. Diese liegen auf verschiedenen Ebenen, sind in einer globalisierten Welt aber ineinander verschränkt und kaum isoliert zu betrachten. Entscheidungen können nicht einfach gefällt werden, man muss wissen, was damit zusammenhängt. Und das zu überblicken, ist zunehmend schwierig. Gerda Raidt unternimmt in ihrem neuen Sachbilderbuch den Versuch, eben diese Zusammenhänge zum Thema zu machen. Anhand der fünf Themenkomplexe Essen, Dinge, Verkehr, Strom und Menschen zeigt sie, wie unser modernes Leben – in Abgrenzung zum Leben der Menschen früher – die Möglichkeiten unserer Erde an die Grenze der Belastbarkeit bringt. Sie legt offen, wie radikal ein Wechsel in unseren Gewohnheiten sein müsste, um nachhaltiger zu leben. Schonungslos verweist sie auf konsequente Entscheidungen – weniger Fleisch essen, weniger Besitz anhäufen, weniger reisen, mehr zu Fuß gehen, weniger Geburten –, die jedoch nicht einfach umzusetzen sind. Die Argumentation ist in kurzen Textbausteinen entfaltet, die sich über die Doppelseiten verteilen und eine lineare Informationsentwicklung enthalten. Alle Informationen werden durch Buntstiftzeichnungen veranschaulicht und kommentiert, die als seitenfüllende Szenen und als Vignetten den nicht vom Text genutzten Weißraum ausfüllen. Die Bilder sind vereinfachte, aber naturalistische Zeichnungen, in denen man sich schnell wiedererkennen kann und die eng an unserem alltäglichen Erleben orientiert sind. Damit wäre das vorliegende Bilderbuch jedoch kaum etwas Besonderes. Interessant wird es durch eine zweite, metafiktionale Ebene, die Gerda Raidt hier einflicht. Sie selbst als Zeichnerin und Autorin tritt ins Bild – jenseits des Bildrandes gebeugt – mit dem Stift die Bilder zeichnend. Aber auch sie kommentiert und fungiert als Mahnerin hinsichtlich der angesprochenen Probleme. Sie spitzt zu, stellt Fragen, ist unbequem. Demgegenüber treten auf der gleichen Ebene auch andere Menschen auf, die kritisch auf diese Kommentare reagieren, ihre Sicht und Argumente gegenüberstellen und damit die gesellschaftliche Brisanz des Themas offenbaren. Das scheint zuerst ein ziemlich plakatives Gegeneinander zu sein, bei dem die Autorin die moralische Wahrheit auf ihrer Seite hat, während – in der Regel männliche – Repräsentanten einer tradierten und modernisierungsorientierten Weltsicht dagegenhalten; ganz so einfach ist es aber nicht. Immer wieder überschreiten die Vorschläge der fiktionalen Autorin die Grenzen einer moderaten Position, sie drängt ins Extreme und scheint sich damit selbst ins Abseits zu rücken. Die Gegenpositionen scheinen so nicht nur reaktionär, sondern immer wieder auch vernünftig (bzw. wenigstens denkbar) und berechtigt zu sein – und das moralische Gefälle zwischen den beiden Fronten wird eingeebnet. Damit ermöglicht Gerda Raidt eine diskursive Atmosphäre, die sie der Darlegung der sachlichen Zusammenhänge gegenüberstellt. Das fasziniert und ist in einem Genre innovativ, das seine Adressat*innen oft eher moralisch zu überwältigen, statt aufklärerisch zu empowern versucht. Sehr zu empfehlen!

Gerda Raidt (Text & Ill.); Das ist auch meine Welt. Wie können wir sie besser machen?; Beltz & Gelberg, 2021; ISBN: 978-3-407-75857-6; Preis: 16,95 €, 112 Seiten; Altersempfehlung: ab 9 Jahre

Kontakt
Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien in Sachsen-Anhalt (AJuM)
Leitung: Dr. Alexandra Ritter und Dr. Nadine Naugk