Kinder- und Jugendliteratur
Das Mädchen in unserem Badezimmer
In Deutschland gibt es schätzungsweise 37.000 Jugendliche zwischen 14 und 27 Jahren, die auf der Straße leben. Da fragt man sich, wie so etwas passieren kann. Häufig sind Probleme in der Familie der Hauptgrund, warum Jugendliche ohne festen Wohnsitz sind.
Das Buch „Das Mädchen in unserem Badezimmer“ geht der Geschichte von Coco nach, einem Mädchen so um die 17 Jahre, das in Berlin lebt und anscheinend keine Wohnung hat. Sie wird von Amras Mutter im Park angesprochen: „Gibt es irgendetwas, das ich für dich tun kann?“ Coco wünscht sich eine Dusche und Amras Mutter lädt sie für den nächsten Tag zu sich ein. Das nutzt Coco und verbringt beinah den ganzen Tag im Bad. Die Familie macht sich Sorgen und hat Bedenken. Doch dann erscheint Coco mit frisch gefärbten Haaren und verabschiedet sich. Was sie vergessen hat, ist ihr Tagebuch.
Die 14-jährige Ich-Erzählerin Amra findet das Buch und liest gemeinsam mit ihrer Freundin Louise darin, um Coco besser zu verstehen. Sie erfahren einiges über die Motive des Mädchens, wie es kam, dass sie obdachlos wurde, und wie sie ihre Zeit verbringt. Da Coco aber nun nicht mehr auffindbar ist, beginnen die Mädchen, sich Sorgen zu machen und Nachforschungen anzustellen. Sie befragen Freunde und auch Menschen, die den Obdachlosen helfen, so z. B. Sebastian, der am Alexanderplatz als Sozialarbeiter tätig ist, oder Frau Schultze von der Vermisstenstelle in Berlin.
Auch die Lesenden können den beiden Mädchen bei der Recherche gut folgen. Das Buch ist flüssig erzählt und in kurze Kapitel unterteilt. Immer wieder gibt es Tagebuch-Einschübe, in denen Coco aus ihrem Leben erzählt. Die Motive für ihre Situation sind ebenso tragisch wie authentisch. Die Alkoholsucht und Flucht der Mutter und der plötzliche Tod des Pflegevaters lassen Coco zwischenzeitlich in einer Wohngruppe für Jugendliche unterkommen. Dann flieht sie und wohnt zunächst in Berlin. Doch hier merkt Coco schnell, dass sie nicht allen Menschen trauen kann. Nicht jeder stellt sich als Freund*in heraus.
Das Verschwinden des Mädchens, die Hinweise aus dem Tagebuch und die Nachforschungen sind geschickt miteinander verwoben. Am Ende wird die Spannung noch einmal erhöht, als Amra glaubt, Coco sei einer Organspende-Gang auf dem Leim gegangen. Zahlreiche Kapitel werden zudem von Grafiken von Kerstin Wacker begleitet, die Straßen und Orte aus Berlin zeigen. Die Abstrahierung in schwarze und weiße Flächen, die fast wie Scherenschnitte wirken, werfen gelungen ein neues Bild auf bekannte Orte. Das Buch zeigt authentisch an einem Beispiel, wie schnell obdachlose Menschen verurteilt werden und mit welchen Problemen sie sich täglich beschäftigen müssen. Dieses wichtige Thema wird facettenreich und differenziert dargestellt, auch mit weiterführenden Sachinformationen am Ende. Es scheint mir auch als Klassenlektüre besonders geeignet. Auf der Seite des Verlags gibt es dazu auch spezielle Angebote. Ein absoluter Lesetipp!
Henrik Hitzbleck/Kerstin Wacker; Das Mädchen in unserem Badezimmer; Wacker und Freunde Verlag, 2022; ISBN: 978-3-00-071776-5; Preis: 14,80 €, 272 Seiten; Altersempfehlung: ab 12 Jahre