Schuljahresbeginn 2023/2024 in Sachsen-Anhalt:
Der ministerielle Optimismus ist unangebracht
Nachdem es jahrelang keine Pressekonferenz des Bildungsministeriums zum Schuljahresbeginn gab, weil offenbar die negativen Meldungen überwogen, sollte in diesem Jahr Optimismus verbreitet werden.
Die gute Nachricht der Bildungsministerin ist, dass die Unterrichtsversorgung um 3,5 Prozentpunkte gestiegen ist, von 92 Prozent bei der letzten Erhebung im September 2022 auf 95,5 Prozent zu Beginn des Schuljahres 2023/2024. Schaut man sich den Kontext an, dann blättert der Lack schnell ab.
Ungleiche Unterrichtsversorgung
Die Unterrichtsversorgung liegt in allen Schulformen – bis auf das Gymnasium – immer noch unter 100 Prozent. Die Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen liegen mit 88,5 und 91,5 Prozent weit unter dem Idealwert von 103 Prozent Unterrichtsversorgung aus dem Koalitionsvertrag. Immer noch fallen in den Schulen, die von den meisten Kindern besucht werden, zehn von 100 Unterrichtsstunden aus. Was aber viel schwerer wiegt ist, dass dieser „Erfolg“ einzig auf dem Rücken und mit zusätzlicher Kraft der Lehrkräfte erreicht wurde. Nach dem entschlossen vorgetragenen Satz unseres Ministerpräsidenten auf dem Bildungsgipfel im Januar „Wir werden eine Vorgriffstunde einführen“ arbeiten die Lehrkräfte eine Unterrichtsstunde mehr pro Woche mit all den Problemen, dem Frust und der Demotivation, die eine solche Maßnahme bringt. Die versprochene Unterrichtsversorgung von 100 Prozent wurde damit nicht erreicht – daran wurde bei der Pressekonferenz wohlweislich nicht erinnert. Aber alle, die mit offenen Augen durch ihre Schulen gehen, wissen, dass das Problem längst nicht ausgestanden ist. Auch in den kommenden Jahren werden viel mehr Lehrkräfte in den Ruhestand gehen, als eingestellt werden können. Dazu steigt die Anzahl der Schülerinnen und Schüler im jetzt laufenden Schuljahr um 4.000. Man gönnt der Landesregierung tatsächlich mal Mitarbeitende, die die seit Jahren vorliegenden Statistiken deuten und richtig rechnen können. Den Lehrkräftemangel bekommt man jedenfalls nicht mit Schönreden weg. Die GEW Sachsen-Ahalt bleibt bei ihrer Haltung, dass die verpflichtende Vorgriffstunde für alle Lehrkräfte abgeschafft werden muss; sie ist das falsche Mittel, das hat die Schuljahresanfangspressekonferenz gezeigt. Wir werden weiterhin unsere Mitglieder bei gerichtlichen Auseinandersetzungen gegen diese Maßnahme der Arbeitszeiterhöhung und die Art der Umsetzung durch die Schulbehörden unterstützen, vor allem auch wenn diese gegen die eigenen Verordnungen verstoßen und die Stunden nicht monatlich bezahlt werden.
Entlastungen umsetzen!
Alles, was das Bildungsministerium als scheinbare Entlastungen nennt, reicht nicht aus oder ist schlecht umgesetzt. Ein Beispiel ist der Einsatz der Schulverwaltungsassistent*innen – eigentlich eine gute Idee für alle Schulen. Aber bisher hat noch nicht einmal jede zehnte Schule solch eine Mitarbeiter*in. Und dort, wo diese Assistent*innen tätig sind, werden die § 10-Stunden für die Lehrkräfte gekürzt. Diese Stunden können für Lehrkräfte für besondere unterrichtliche oder schulformspezifische Belastungen vergeben werden, wie z. B. für Fachkonferenzleiter*innen, für die Erarbeitung eines Schulprogramms, für die Leitung eines Chores oder einer Sportgruppe oder auch für die Erarbeitung von Materialien für selbstorganisiertes Lernen im Rahmen der neuen Unterrichtsmodelle. Für diese pädagogischen Aufgaben, die zum Teil sehr zeitaufwändig sind und unter Umständen auch Tätigkeit am Wochenende verlangen, gibt es keinen anderen Anrechnungspool. Diese Aufgaben können durch Schulverwaltungsassistent*innen nicht übernommen werden. Die entsprechenden Anrechnungen müssen also erhalten bleiben, diese Arbeit wird ja schließlich geleistet! Schulverwaltungsassistent* innen sind auch deshalb an allen Schulen notwendig, um Schulleitungen zu entlasten, die durch die – durchaus vernünftigen – Programme wie „Aufholen nach Corona“, durch den geplanten Einsatz von Honorarkräften und die damit zusammenhängende Budgetverwaltung oder auch durch Konzeptentwicklungen wie bei der Zusammenarbeit von Schule und Hort erneut zusätzlich belastet werden. Fünfzig solche Kolleg*innen gibt es bisher, bei knapp 800 Schulen und der Aussage vor der Landtagswahl, dass ca. 240 eingestellt werden sollen. Und es gibt noch viel mehr solcher Beispiele im Land, die gut gemeint und dann schlecht gemacht sind ...
Miteinander reden und Vorschläge diskutieren
Alles Genannte, die Vorgriffstunde, der Einsatz der Schulverwaltungsassistent* innen und die damit verbundenen Belastungen und Ärgernisse, beschreiben nur „die Spitze des Eisbergs“ der Bildungsthemen, die endlich diskutiert werden müssen. Unser Vorschlag an das Bildungsministerium ist, einen tatsächlichen Diskussionsprozess – und keinen Bildungsgipfel, auf dem eine Diskussion verboten wird – in Gang zu setzen, zusammen mit den Gewerkschaften und Verbänden, mit Eltern und Schüler*innen und mit dem Finanzminister. Die GEW Sachsen-Anhalt hat dazu etliche Verbesserungsvorschläge unterbreitet und Forderungen formuliert.
Wie kann die Unterrichtsversorgung verbessert werden?
Die Altersermäßigung für Beschäftigte ab dem 55. Lebensjahr bis hin zu mindestens fünf Stunden ab dem 63. Lebensjahr muss wieder eingeführt werden! Hier gewähren fast alle anderen Bundesländer mehr Anrechnungsstunden. Eine Erhöhung der Altersermäßigung für Lehrkräfte, die älter als 62 Jahre sind, könnte diese Lehrkräfte zum längeren Verbleiben im Schuldienst bewegen und damit zu einer verbesserten Unterrichtsversorgung führen. Die Schulen sollen die Möglichkeit erhalten, ergänzende Unterrichtsangebote in originären Fächern der Stundentafel und zu weiteren Themen u. a. durch anerkannte Träger der Erwachsenenbildung in Anspruch zu nehmen. Dazu wird vom Bildungsministerium ein Katalog erstellt. Die Inanspruchnahme dieser Angebote durch die Schulen wird durch die Landesregierung finanziert. Der Einsatz von Studierenden im Lehramt als Unterrichtende soll für einen bestimmten Zeitraum möglich sein. Der Lehramtsabschluss darf dabei nicht gefährdet werden. Die Anerkennung einer solchen Zeit als Praktikum soll auf Antrag möglich sein. Seiteneinsteigende müssen im ersten Halbjahr ihrer Tätigkeit mehr Zeit und mehr Betreuung durch Mentor*innen erfahren, um besser im Beruf anzukommen. Die Fächeranerkennung ist transparenter und offener zu gestalten. Seiteneinsteigende brauchen mehr Zeit für die Absolvierung von Zertifikatskursen neben dem Unterricht. Fort- und Weiterbildungen sollen modularisiert werden.
Welche Berufsperspektiven soll der Schuldienst bieten?
Studierende sollten verbindliche Angebote für eine spätere Tätigkeit im Land bereits im Lehramtsstudium erhalten. Eine intensive Kooperation mit Landkreisen, Städten und Gemeinden für die Gewinnung neuer Lehrkräfte durch spezielle Ausschreibungs- und Besetzungsverfahren, eine allgemeine Erhöhung der Ausbildungsvergütung für die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst und Zahlung von Zulagen für eine Ausbildung in Regionen und Schulen mit besonderem Mangel können insbesondere für unterversorgte Regionen eine Perspektive eröffnen. Für Seiteneinsteigende ist eine Ein-Fach-Laufbahn zu etablieren, so dass sie den berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst auch mit einem anerkannten Fach absolvieren können. Schulfunktionsstellen sollten auch für Seiteneinsteigende mit mehrjähriger Unterrichtserfahrung geöffnet werden, um diesem größer werdenden Personenkreis Entwicklungsperspektiven im Schuldienst bieten zu können. Mit der Änderung des Besoldungsgesetzes zur Stellenhebung auf A 13 für Lehrkräfte an Grundschulen ist ein wichtiger Schritt getan. Bisher wurden dabei Seiteneinsteigende und Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst noch nicht berücksichtigt. Das ist dringend nachzuholen. Weiterhin sind für engagierte Lehrkräfte Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Damit sollte – wie in anderen Bundesländern auch – ein fester Prozentsatz der Lehrerstellen einer Schule als Beförderungsstellen vorgesehen werden. Für ca. zehn Lehrkräfte soll jährlich die Möglichkeit der Abordnung an eine lehramtsausbildende Universität für schulpraktische Übungen, Einsatz in der Didaktik bzw. auf Promotionsstellen für fünf Jahre ermöglicht werden. Die Lehrkräfte wären durch eine Abordnung entsprechend abgesichert. Für die Universitäten kann eine solche Abordnung zu mehr praxisbezogenen Studieninhalten führen bzw. zur Besetzung von Stellen in der Didaktik. Unter diesen Punkt fällt auch der unbedingte Einsatz der GEW Sachsen-Anhalt für eine Schulsozialarbeit für alle Schulen, die das wollen. Einmal, weil Schulsozialarbeit ein wichtiges Unterstützungssystem für Schule ist, und zum zweiten geht es hier auch um langfristige berufliche Perspektiven für Schulsozialarbeiter*innen, die nicht von EU-Förderperioden abhängig sind.
Wie können wir mehr Chancengleichheit für alle Kinder durchsetzen?
Die GEW steht für eine Schule für alle Kinder, für Inklusion und längere gemeinsame Lernphasen. Alle Maßnahmen der Landesregierung müssen an diesem Ziel gemessen werden. Die GEW lehnt jede Verschärfung der Schullaufbahnempfehlung in Klasse 4 ab. Insbesondere die alleinige Orientierung an Zensuren bzw. ein Probeunterricht am Gymnasium für die Entscheidung, welche Schulform gewählt werden soll, sind für die GEW nicht akzeptabel. Die GEW setzt sich für mehr Gesamt- und Gemeinschaftsschulen ein. Weiterhin muss die Ausstattung von Sekundarschulen mit personellen und finanziellen Ressourcen dringend verbessert werden; diese Schulformen sind die, die von den meisten Kindern besucht werden. Man kann nicht auf der einen Seite den Übergang zum Gymnasium einschränken wollen und auf der anderen Seite die genannten Schulformen zur „Restschule“ verkommen lassen. Andere Bundesländer diskutieren über einen Sozialindex, was die Ausstattung der Schulen angeht. Wichtig erscheint auch, dass Schüler*innen an den Förderschulen schulische Abschlüsse erreichen können. Wir brauchen weiterhin eine Verbesserung der Datenlage bei den Übergängen von der Schule an die Berufsbildenden Schulen bzw. in die Ausbildung. Zunächst aber muss die Ableistung der Schulpflicht für alle Schüler*innen gewährleistet sein. Weiterhin muss klar sein, wie viele Absolvent*innen der Schulen in die Ausbildung gehen bzw. in die Freiwilligendienste. Das gilt auch für diejenigen, die sich mehrfach, auch über Jahre hinweg, erfolglos beworben haben.
39114 Magdeburg