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Zwischen Kongress und Kultur

Die GEW bei der Education International in Buenos Aires

Als Teil der 16-köpfigen GEW-Delegation machte sich unser Landesverbandsmitglied Kenny-Lee Richter auf den Weg nach Buenos Aires zum 10. Weltkongress der Education International (EI). Dieser fand in der Zeit vom 26. Juli bis 2. August unter dem Motto „Growing our unions, elevating our professions, defending democracy“ statt.

Von der Einladung bis zum Weltkongress: Eine unerwartete Reise

Wie kann ein Text beginnen, der unzählige Eindrücke, Erfahrungen und herausragende Momente wiedergeben soll?  Ich fange an mit: Danke! Ich fühle mich unfassbar geehrt, dass ich Teil dieser Delegation sein durfte. 

Was ist aber überhaupt passiert? Es begann mit einer Mail – geschrieben von unserer Vorsitzenden Eva. Betreff: Buenos Aires. Es stand die Frage im Raum, ob die Landesverbände Personen in ihren Reihen hätten, die sie für die Delegation des GEW-Hauptvorstandes zum Weltkongress der Bildungsinternationale (Education International, kurz: EI) vorschlagen würden. Ich bekundete mein zurückhaltendes Interesse, da ich nicht davon ausging, mich mit so jungen Jahren in den Reihen von erfahreneren Mitgliedern wiederzufinden. Die Delegation umfasste schließlich gerade einmal 16 Plätze, wovon die meisten auch schon vergeben waren, als die Landesverbände um Vorschläge für die restliche Besetzung gebeten wurden. 

Und doch: Es hat geklappt. Und daraufhin ging es Schlag auf Schlag – es folgten unzählige Mails, Flugbuchung, Meetings der Delegation, Antragsbuch-Lektüre usw. 

 

Kenny-Lee Richter nahm als einer von 16 Delegierten der GEW am 10. Weltkongess der Education International teil.

Erste Eindrücke in Buenos Aires: Zwischen politischem Chaos und beeindruckender Stadtlandschaft

Dann startete die Reise am 26. Juli. In den Abendstunden flog ich von Frankfurt am Main ab – 14 Stunden in der Luft. Das war eine Premiere, so lang flog ich noch nie, nicht mal annähernd. Das Ziel war aber auch „das andere Ende der Welt“, Buenos Aires, wo ich in den Morgenstunden des Folgetages ankam. Die Zeit dort liegt fünf Stunden hinter unserer zurück. Mit dem Taxi ins Hotel und dort eingecheckt, hatte ich gerade noch 40 Minuten Zeit für eine Dusche, bevor auch schon der erste Termin anstand. Die anderen aus der Delegation waren schon vor mir angereist. Teils Wochen, um durch Argentinien zu reisen, teils Tage. 

Wir besuchten als erstes das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Buenos Aires und bekamen eine Einführung in die aktuelle politische Lage des Landes und wie die Situation so werden konnte, wie sie ist. Es ging auch um die Geschichte eines Landes, das so hin- und hergerissen ist, dass es nicht weiß, wohin es will. Das zeigt sich im Wahlverhalten und den Regierungen – von rechts bis links, militärisch, teils diktatorisch. Das schlägt sich auch im Stadtbild nieder. Es gibt Gebäude, die an Paris, Barcelona, Rom und US-Amerikanische Großstädte erinnern. Wunderschöne Altbauten und verfallene Ruinen reihen sich überall nebeneinander – selbst in den besten Vierteln ist die Gleichzeitigkeit von Verfall und Armut zu spüren. 

Es ging bei der FES auch um den Peronismus und um den – oftmals als verrückt beschriebenen – rechten Präsidenten Milei, um die gewerkschaftliche Arbeit und Armut – letztlich um das Leben in Argentinien. 

Vom aktuellen Präsidenten wird ein Kampf gegen die „Korruption der linken Vorgänger“ geführt. Dieser besteht darin, die Hälfte der Ministerien – wie Bildung, Kultur, Arbeit, Gleichstellung – wegzurationalisieren, den Suppenküchen das Essen zu verweigern, Personal in unliebsamen Museen und Gedenkstätten zu streichen und im Sozialsystem massiv zu kürzen. Ob das Korruption bekämpft oder lediglich als Deckmantel seiner Agenda eines liberalen und paradoxerweise auch autoritären Staates dient, lässt sich wohl leicht durchschauen. Fakt ist: das Land kämpft mit hoher Inflation, einer stetig steigenden Armutsquote von aktuell 60 Prozent und hoher Arbeitslosigkeit. Für einen Euro gibt es je nach Tag um die 1400 Pesos. Um 200 Euro wechseln zu können, sollte man Western-Union-Geschäfte aufsuchen, bei Banken ist die Aussicht auf Erfolg gering. Um so „viel“ Geld zu erhalten, sollte man zudem dort möglichst früh erscheinen. Selbst Einheimische nutzen die Geschäfte von Western Union, notgedrungen. 

Bildung als letzte Rettung: Wie das Centro Isauro Arancibia obdachlosen Menschen eine Zukunft schenkt

Bei unserem Folgetermin wurden uns diese ganzen Probleme auch mit voller Wucht ins Bewusstsein gerufen, als wir eine Einrichtung besucht haben, die aus all diesen Missständen erwuchs. Das Centro Educativo Isauro Arancibia umfasst Kita, Schule und Berufsschule in einem Gebäude – für obdachlose Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Die Schulleiterin und einige der erwachsenen Schülerinnen und Schüler zeigten uns die Bäckerei, Fahrradwerkstatt und den Kunstraum. Diese Bildungseinrichtung fängt jene auf, die durch das soziale Netz des Staates fallen. Ein Netz, das sich zunehmend stärker auflöst. In der Schule erhalten die jungen Menschen eine Chance auf Teilhabe durch Bildung, damit sie wenigstens einfache Arbeit ausüben können und nicht mehr auf der Straße leben müssen. Dabei steckt so viel Herzblut und Liebe in dieser Einrichtung, dass Worte dies kaum ausdrücken können. Finanziert wird die Schule durch Spenden, lediglich die Gehälter der Lehrkräfte kommen vom Staat – noch! Denn dieser streicht ja immer mehr Mittel im „Kampf gegen die Korruption“. Wie bereits erwähnt, wurde der Tafel beispielsweise zwischenzeitlich der Zugang zu Lebensmitteln verweigert; ein neuer Skandal, der immer wieder von den Einheimischen erzählt wird, weil er sie so fassungslos macht.

Auch dass Museen, die für vermeintlich „linkes“ Gedankengut stehen, um ihre Finanzen bangen und mit immer weniger Personal auskommen müssen, haben wir während unserer Reise selbst gemerkt. Wir besuchten das ESMA-Museum. Die ehemalige als Offiziersschule getarnte Anlage war in der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 ein geheimes Folterzentrum. Etwa 5.000 Menschen wurden hier ermordet, viele durch die berühmten „Todesflüge“. Im Folterkeller zu stehen, löst ein beklemmendes Gefühl aus, das jeder kennt, der schon einmal in einem Konzentrationslager die menschliche Widerwärtigkeit erlebt hat. Das Museum kämpft unter Milei inzwischen ums Überleben. 

Starke Reden und wegweisende Entscheidungen: Eindrücke vom Weltkongress der Bildungsinternationale

Der Kongress selbst begann am Montagmorgen bei kühlen, aber sonnigen 16 Grad. Nach dem Holen der Kopfhörer, um den zahlreichen Reden der Delegierten auf Deutsch folgen zu können, begann die feierliche Eröffnungszeremonie: die argentinische Hymne, ein Klassikstück und ein mitreißendes Video der EI stimmten uns auf den ersten Tag ein. Berichte, um den aktuellen Vorstand zu entlasten, folgten. Dieser sollte auf dem Kongress auch gewählt werden, beginnend mit dem Ausscheiden der langjährigen Präsidentin Susan Hopgood. Der Südafrikaner Mugwena Maluleke gewann die Wahl und wird Susan Hopgood nachfolgen. Ein Erfolg, der durch feierliche Gesänge der südafrikanischen Delegation den ganzen Saal erhellen ließ. Der restliche Kongress war gefüllt von Antragsdebatten, Empfängen und Meetings. Unsere Delegation hat überaus starke Reden gehalten, die international sehr gelobt wurden, insbesondere, als es um einen Antrag zur Lage in Palästina ging. Auch wenn der Antrag relativ differenziert dafür war, dass er aus der Region kam, war er doch einseitig – die Mühe nach einem mehrheitsfähigen Antrag war spürbar. Andreas Keller hat sehr deutlich gemacht, dass jedes Leid in Palästina zu verurteilen ist, so wie jedes Leid in Israel. Seine Vorredner verurteilten nur die Angriffe Israels im Gaza-Streifen, schwiegen jedoch zu den Verlusten Israels und den Angriffen durch die Hamas. Auch war Andreas der Einzige, der angesprochen hat, dass dieser Konflikt seinen Auslöser im Angriff der Hamas auf Israel hatte. Das wurde von vielen Gewerkschaften aus allerlei Ecken der Welt gelobt. Es war der Antrag mit der hitzigsten Debatte. Er wurde angenommen, wenn auch mit einigen Gegenstimmen und noch mehr Enthaltungen.

Alle Anträge wurden am Ende nicht geschafft. Die restlichen müssen nun vom neu gewählten Vorstand behandelt werden. Unsere GEW-Vorsitzende Maike Finnern wurde im „regional seat“ wiedergewählt, was wir als Delegation damit feierten, den Saal entlang nach vorne zu Maike zu laufen und im Chor „Maike! Maike! Maike!“ zu rufen. Ein Akt, der von der Präsidentin warm unterbunden wurde, damit die Beratung weitergehen konnte. Da der Kongress unter dem Motto „Growing our unions, elevating our professions, defending democracy“ stattfand, gab es zu jedem dieser Bereiche Leitanträge. Alle Anträge werden die inhaltliche Arbeit der Education International in den nächsten vier Jahren ausrichten. Insofern ist der Weltkongress gut mit einem Gewerkschaftstag vergleichbar.

Es war ein beeindruckendes Erlebnis und ich war durchaus überrascht, was alles zu den Tätigkeiten der EI gehört. Ich nahm an, dass es hauptsächlich um die Vernetzung der Bildungsgewerkschaften und um inhaltliche Kampagnen geht. Ein nicht unwichtiger Teil ist aber auch die gelebte, ganz praktische Solidarität, denn diese betrifft Menschenleben. Ganz konkret wurde dies in Redebeiträgen, die der EI dankten, dabei unterstützt zu haben, sie aus dem Gefängnis zu holen bzw. sie davor zu bewahren oder ihnen bei der Flucht in andere Länder zu helfen, da sie als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in ihren Ländern mit dem Tode bedroht werden. So haben wir auch eine Vorstandskandidatin aus Bahrain unterstützt, weil sie als Vorstandsmitglied der EI nicht einfach ins Gefängnis gesteckt werden kann – oder schlimmeres. Krass. Das sind Eindrücke und Erinnerungen, die ich so nicht erwartet hatte. 

Von bewegender Solidarität bis zur pulsierenden Vielfalt: Unvergessliche Eindrücke aus Buenos Aires

Nach dem Kongress blieb ich noch über das Wochenende, um mir Buenos Aires in Ruhe ansehen zu können. Zwischen schönen Häusern, Lederwaren, Kunst, Kultur, Oper und Tango wurde mir nochmal bewusst, wie vielfältig die Stadt ist. Aber auch wie die soziale Härte für Unsicherheit sorgt, wie wunderschöne Altbauten neben verfallenen stehen, wie Menschen alles Mögliche auf Flohmärkten verkaufen und jeder mit etwas künstlerischen Talent nach der Arbeit stundenlang malt, was die Familie dann verkaufen kann und schlichtweg: wie die Gegend abseits von Touri-Gegenden aussieht. Da fällt mir ein, wie meine Kollegin und ich einmal zwei Busstationen zu früh ausstiegen und selbst mitten am Tag Angst vor einem Raub haben mussten. Buenos Aires insgesamt war eine dieser Erfahrungen, an die ich mich noch in Jahrzehnten sehr bunt erinnern werde. Danke dafür – an die Delegation, an die GEW Sachsen-Anhalt, an Eva und alle, die diese Reise ermöglicht, geplant und begleitet haben!

 

Für die GEW nahmen Alex Hanke, Andreas Keller, Anja Bensinger-Stolze, Ann-Kathrin Hoffmann, Annett Lindner, Carmen Ludwig, Doreen Siebernik, Franziska Hense, Harun Demircan, Kenny-Lee Richter, Maike Finnern, Martina Borgendale, Nick Strauss, Nico Leonhardt, Stefanie Brich und Thilo Hartmann am Weltkongress teil. Unsere GEW-Vorsitzende Maike Finnern wurde zudem in einen der zwei „regional seats“ für Europa gewählt und ist damit weiterhin Teil des EI-Vorstands.