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Verordnungsentwurf der Landesregierung zur „Vorgriffstunde“

Die GEW hat Stellung bezogen

Am 28. Februar hat die Landesregierung eine Anhörung in Bezug auf die Verordnung zur „Vorgriffstunde“ durchgeführt. Eingeladen waren die bildungspolitischen Einrichtungen und Verbände Sachsen-Anhalts. Die GEW hat sich mit dieser Stellungnahme zu dem Vorhaben positioniert.

Stellungnahme der GEW Sachsen-Anhalt zum Verordnungsentwurf der Landesregierung zur Einführung eines Langzeitarbeitszeitkontos für Lehrkräfte und zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften im Schuldienst

Die GEW Sachsen-Anhalt möchte sich zum oben genannten Verordnungsentwurf äußern.

Die Einführung der sogenannten Vorgriffstunde erfolgt unter falschen Voraussetzungen. Der Öffentlichkeit, der Presse und den Beschäftigten an Schulen wurde im Zusammenhang mit dem „Bildungsgipfel“ suggeriert, dass in allen anderen Bundesländern eine höhere Zahl von Unterrichtsstunden erteilt werden. Diese Aussage ist falsch.

Die Landesregierung hat in ihrer Argumentation, warum eine Vorgriffstunde eingeführt werden kann, nicht berücksichtigt, dass es auch in anderen Bundesländern in verschiedenen Schulformen geringere Pflichtstundenzahlen als in Sachsen-Anhalt gibt.

Weiterhin gibt es in anderen Bundesländern erheblich mehr Ermäßigungen und Anrechnungsstunden, die ebenfalls keine Berücksichtigung gefunden haben. Unter anderem unterrichten die Lehrkräfte in Thüringen bei 11 Unterrichtsstunden in den Klassen 10 bis 12 nur 23 Unterrichtsstunden.  In Sachsen haben die Lehrer zwar 26 Pflichtstunden, bekommen aber ab 9 Unterrichtsstunden in der gymnasialen Oberstufe (Klassen 10 bis 12) zwei Anrechnungsstunden.

In Niedersachsen gibt es bei Klassenfahrten für jeden Tag eine zusätzliche Bonusstunde. In anderen Ländern gibt es generell Anrechnungsstunden für Vertrauenslehrer und Klassenleitung. Die sehr unterschiedlichen Altersermäßigungen der anderen Bundesländer fanden ebenfalls keine Berücksichtigung.

Die GEW erwartet, dass die Anrechnungen und Ermäßigungen der anderen Bundesländer in den Vergleich einbezogen werden, um ein realistisches Bild der Belastungen der Beschäftigten in den Schulen zu erstellen und die Vorgriffstunde unter diesen Voraussetzungen neu zu bewerten.

Grundsätzlich lehnt die GEW alle Änderungen ab, die zu einer sofortigen Änderung des Stundenplans, der Unterrichtsorganisation, einem Fachlehrkraftwechsel und Abordnungen im laufenden Schuljahr zwingen, wie u.a. die verpflichtende Vorgriffstunde.
 

Zu den Regelungen im Einzelnen:

1. Änderung der Arbeitszeitverordnung für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen

Zu § 4, Absatz 6:
Die monatliche Auszahlung der Zusatzstunden erfordert einen erheblichen Zusatzaufwand für die Schulleitungen.

Zu § 4, Absatz 7:
Die GEW fordert das Bildungsministerium auf, Regelungen zu schaffen, mit denen die jährliche Höchstarbeitszeit, die Unterbrechung der Arbeit durch Ruhepausen und die Mindestruhezeit überwacht werden.
Dabei ist die Arbeitszeit, die die Lehrkräfte außerhalb der Schule leisten, einzubeziehen.

Neu § 4a:
Jede Unterrichtsstunde, die auf dem Arbeitszeitkonto gebucht wird, sei es freiwillig durch die Lehrkräfte oder aufgrund von § 4b, ist Arbeitszeit von Lehrkräften, die geleistet aber nicht sofort bezahlt wird. Die GEW erwartet, dass diese Arbeitszeit auf den Konten „verzinst“ und dass dort auch ein Ausgleich für das Entgegenkommen der Beschäftigten eingezahlt wird. Hier soll auf § 8 TV-L verwiesen werden, der zwar nicht unmittelbar für Lehrkräfte gilt, aber sinngemäß übernommen werden kann. Als Ausgleich für Überstunden wird dort u. a. ein Zeitzuschlag von 20% gewährt. Alternativ sollte das Arbeitszeitguthaben auf dem Konto mindestens mit dem Wert einer Unterrichtsstunde abgegolten werden, der zum Zeitpunkt eines eventuellen Auszahlens des Kontos aktuell ist.    

Neu § 4b:
Die GEW lehnt § 4b (Vorgriffstunde) ab. Aus ihrer Sicht beinhaltet er eine Erhöhung der Arbeitszeit von Lehrkräften und damit eine zusätzliche Belastung für alle Lehrkräfte.

Sie geht davon aus, dass die Änderung der Arbeitszeitverordnung insgesamt eine unzumutbare Erhöhung der Arbeitszeit der Lehrkräfte darstellt. Vor dem Hintergrund verschiedener Arbeitszeitstudien aus anderen Bundesländern liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Grenze der durch die Umsetzung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 bestimmten wöchentlichen Höchstarbeitsgrenze überschritten wird, insbesondere auch durch den Umstand fehlender Entlastung bei den sonstigen dienstlichen Verpflichtungen im Rahmen der Arbeitszeit außerhalb des Unterrichtes.

Nach den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes aus der Vergangenheit bedeuten Vorgriffstunden eine „vorübergehende Erhöhung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl“. Daher geht die GEW davon aus, dass die Verabschiedung der Arbeitszeitverordnung eine unzulässige Erhöhung der Arbeitszeit darstellt. Besonders zu kritisieren ist der geplante Beginn der sogenannten Vorgriffstunde am 1. Februar 2023. Da die Verordnung erst später in Kraft tritt, ist eine rückwirkende Inkraftsetzung einzelner Punkte nicht möglich.

Der Paragraph ist insofern unklar und nicht rechtsicher formuliert, als die Lage der Vorgriffstunde in der Unterrichtswoche nicht festgelegt werden muss. Bei unvollständigen Wochen (durch Urlaub oder Feiertage) im Laufe des Schuljahres muss für alle Beteiligten klar sein, an welchem Wochentag und in welcher konkreten Unterrichtsstunde die Vorgriffstunde liegt, um eine zeitliche Abgeltung bzw. Bezahlung zu ermöglichen. Das gilt im Übrigen auch für Zusatzstunden. Die GEW fordert, dass die Zusatzstunden und – sollte sie eingeführt werden – die Vorgriffstunde – jeweils für ein Schuljahr gutgeschrieben oder ausgezahlt werden.

Weiterhin bedeutet Absatz 4 eine Benachteiligung von Teilzeitkräften. Wer Teilzeit beantragt und die Genehmigung für das Schuljahr 2022/23 erhalten hat, dem kann Teilzeit nicht nachträglich wieder entzogen werden bzw. die entsprechende Teilzeit kann nicht durch zusätzliche Stunden ad absurdum geführt werden. Teilzeitbeschäftigte müssen sich, unabhängig davon, aus welchem Grund die Teilzeit gewährt wurde, auf das Handeln ihres Dienstherrn verlassen können. Die GEW erwartet, dass jede Teilzeit in der beantragten Form mindestens für das laufende Schuljahr erhalten bleibt und Kolleg*innen, die in Teilzeit arbeiten, im laufenden Schuljahr keine Vorgriffstunde leisten müssen. Offensichtlich soll die Vorgriffstunde nur von unbefristet tätigen Lehrkräften verlangt werden. Das sollte in der Verordnung festgeschrieben werden.  

Zu § 5:
Die GEW fordert, dass die Altersermäßigung für Lehrkräfte ab 60 Jahren wieder eingeführt wird. Weiterhin muss geprüft werden, ob nicht eine Erhöhung der Altersermäßigung für Lehrkräfte, die älter sind als 62 Jahre, diese Lehrkräfte zum längeren Verbleiben im Schuldienst bewegt und damit zu einer verbesserten Unterrichtsversorgung führt. Im bundesweiten Vergleich hat Sachsen-Anhalt eine der ungünstigsten Altersermäßigungen von allen Bundesländern. Das wurde von der Landesregierung bei der Veränderung der Arbeitszeitverordnung nicht berücksichtigt. 

Zu § 10:
Die GEW lehnt die Einfügung „durch die Schulleitung“ ab. Sie suggeriert, dass einzig die Schulleitung die Anrechnungsstunden für die besondere Belastung vergeben kann und ignoriert dabei die Beteiligungsrechte der Personalvertretungen. Ansonsten wäre diese Änderung nicht zu erklären.

Die Kürzung der §-10-Stunden bei Anwesenheit einer Schulverwaltungsassistenz lehnt die GEW ab. Viele der Aufgaben, für die Lehrkräfte eine Stunde aus diesem Pool erhalten haben, fallen nicht unter den Aufgabenbereich einer Schulverwaltungsassistenz, wie z.B. Fachkonferenzleiter*innen, Erarbeitung eines Schulprogramms, Leitung eines Chores bzw. einer Sportgruppe oder auch die Erarbeitung von Materialien für selbstorganisiertes Lernen im Rahmen der neuen Unterrichtsmodelle. Für solche pädagogischen Aufgaben, die zum Teil sehr zeitaufwändig sind und u. U. auch Tätigkeit am Wochenende verlangen, gibt es keinen anderen Anrechnungspool. Die Forderung nach einer Schulverwaltungsassistenz ist gerade aus dem Grund entstanden, die Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben, zu entlasten, damit mehr Zeit für pädagogische Tätigkeit zur Verfügung steht.

Die GEW fordert die Landesregierung dringend auf, die bei den „Schulfriedengesprächen“ gemachten Zusagen vor der Landtagswahl jetzt umzusetzen. Insbesondere soll auf die folgenden Punkte hingewiesen werden, die in der entsprechenden Broschüre unter dem Stichwort „Arbeitsvermögen“ zu finden sind:

„[…]

5. Um kurzfristige Ausfälle kompensieren zu können, erhalten Schulen mit einer Unterrichtsversorgung von weniger als 100 % ein Budget zur Bindung von Vertretungskräften. Dieses ist vor Ort flexibel einzusetzen. Weiterhin wird geprüft, welche Aufgaben Lehrkräfte darüber hinaus erledigen. Von Lehrkräften als notwendig erachtete Aufgaben sind zu bewerten und mit Arbeitsvolumen zu untersetzen.

6. Das Land legt eine Analyse zur Verwendung von pädagogischem Arbeitsvolumen für andere als unterrichtliche Zwecke vor. Alle Anrechnungssachverhalte werden analysiert und die sinnvolle Überführung auf andere Berufs- und Personengruppen innerhalb der Schule (Schulassistenz, Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Schulsozialarbeit, pädagogische Hilfskräfte, Externe etc.) geprüft.

7. Nach dem Vorbild der Niedersächsischen Arbeitszeitkommission und auf der Grundlage von Arbeitszeituntersuchungen sollen nach den Landtagswahlen Gespräche mit den Gewerkschaften aufgenommen werden, um eine realistische Bewertung der Arbeitszeit von Lehrkräften zu ermöglichen. […]“
 

2. Änderung der Verordnung über die finanzielle Abgeltung von Arbeitszeitguthaben für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen

Zu § 2, Pkt. 2

Nach der Arbeitszeitverordnung ist kein Antrag auf Zeitausgleich im kommenden Schuljahr oder eine Gutschrift aus dem Ausgleichskonto vorgesehen.


GEW Sachsen-Anhalt
28.02.2023

Kontakt
Eva Gerth
Landesvorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt
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