MedienBildung: elementar“
Digitaler Kompass für Kindertagesstätten
In aller Frühe klingelt der Wecker – natürlich auf dem Smartphone. Zum Vorbereiten des Frühstücks laufen die Nachrichten über die Radio-App und die Lieblingsplaylist. Schnell das Bahnticket in der entsprechenden App gebucht und noch kurz auf Arbeit angerufen: Es wird wohl fünf Minuten später werden. In der Bahn dann die E-Mails mit den Rückmeldungen zum Elternabend checken, die Informationen in der Messenger-Gruppe mit den Kolleg*innen teilen und die Urlaubsbilder der Freundin in den sozialen Netzwerken bewundern:
Unsere Lebenswelt ist immer stärker geprägt von digitalen und internetbasierten Medienangeboten. Sie dienen der Information und des Wissenserwerbs, der Organisation, Unterhaltung und Stimmungsregulation; sie sind wichtig zur Kommunikation und zur Interaktion. Was für viele Erwachsene neu, befremdlich, ungewohnt, abschreckend, spannend oder revolutionär erscheint, ist für (Klein-) Kinder schlicht normal und Bestandteil ihrer Lebenswelten. Sie entdecken und erkunden auch neue Medienangebote spielerisch intuitiv und erlernen Medienverhalten vor allem im Abgleich mit ihren Eltern als Hauptbezugspersonen.
Mit dem Ende der Kindergartenzeit haben sich Kinder das komplette Spektrum an Medien erschlossen; vom klassischen Bilderbuch über die Spieluhr bis hin zu audiovisuellen und interaktiven Medienangeboten. Die Nutzung von TV, Smartphone, Tablet und Laptop nimmt dabei innerhalb der letzten Jahre immer mehr zu. Bei Kindern zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr stieg die tägliche Nutzung dieser Geräte von zwölf Prozent im Jahr 2015 auf 74 Prozent im Jahr 2018. Insbesondere jüngere Kinder brauchen bei ihren ersten Medienerfahrungen Unterstützung, Begleitung und entwicklungsgemäße Bildungsangebote. Ein altersgerechter Zugang ist nur möglich durch eine werteorientierte Medienerziehung, interessierte und offene Ansprechpartner*innen und entsprechende Raum- und Schutzkonzepte für den medialen Raum. Medienkompetenz bedeutet dabei nicht allein die technische Komponente im Sinne von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT). Auch das mediendidaktische Verständnis, bei dem Medien allein auf ihre Helferfunktion für andere wichtige Bildungsprozesse reduziert werden, greift zu kurz. Wichtig ist vielmehr das Lernen mit, durch und über Medien. Der Förderauftrag mit Medien hat das Ziel, die Entwicklung der Kinder zu mündigen, selbstbestimmten und urteilsfähigen Mitgliedern der medial geprägten Gesellschaft zu fördern. Sie werden dabei unterstützt, Medien kritisch zu bewerten, kreativ zu nutzen und sachgerecht und verantwortungsbewusst einzusetzen.
Ein Recht auf Medienpädagogik
Ganzheitliche Medienpädagogik orientiert sich an den Grundbedürfnissen der Kinder und an allgemeinen pädagogischen Prinzipien. Sie beinhaltet neben der aktiven und praktischen Medienarbeit auch, kindliche Medienerlebnisse zu begleiten und aufzuarbeiten. Gemeinsam mit Kindern und Eltern kann kritisches Mediennutzungsverhalten thematisiert und entwicklungsgemäße Nutzungszeit verhandelt werden. So kann schon früh exzessiver Mediennutzung vorgebeugt und Aushandlungsprozesse erprobt werden. Durch eine offene und wertschätzende Haltung gegenüber den Medieninteressen der Kinder werden pädagogische Fachkräfte im Elementarbereich zu wichtigen Ansprechpartner*innen für die Wünsche und Vorlieben der Kinder, können aber auch besser auf Ängste und Sorgen eingehen. Generell ablehnende und bewahrpädagogische Grundhaltungen dagegen verhindern Gesprächsanlässe und kontroverse Diskussionen von vornherein. Ein häufiges Argument gegen medienbezogene pädagogische Arbeit ist, dass im Elementarbereich erst einmal das sinnliche, dingliche Erleben und Primärerfahrungen im Vordergrund stehen sollten. Dem steht eine Integration medienpädagogischer Ansätze aber gar nicht entgegen. Es geht eben nicht um die Verdrängung, sondern um die Ergänzung solcher Aspekte. Und das Ermöglichen von Primärerfahrungen und die praktische Auseinandersetzung „am Ding“ gilt auch für den Medienbereich. Wenn wir anerkennen, dass Medien und die entsprechenden Geräte, ob wir wollen oder nicht, den Alltag der Kinder mitprägen, kann eine lebenswelt- und subjektorientierte Frühpädagogik diesen Bereich nicht einfach ausklammern. Das wäre Pädagogik an den Bedarfen der Kinder vorbei. Die Kita hat mit ihren Fachkräften als institutionelle und elementare Bildungseinrichtung die Möglichkeit, einen chancengleichen, sachorientierten und kindgerechten Zugang zu schaffen, der auch Bildungs- und Erziehungsdefizite unterschiedlich aufgestellter Elternhäuser ausgleichen kann. In der UN-Kinderrechte-Charta mit der Ergänzung durch die „Sofia-Strategie“ der Vereinten Nationen sind das Recht auf freien Zugang zu Medien und Informationen sowie auf freie Meinungsäußerung festgeschrieben. Gleichzeitig soll das soziale, seelische und sittliche Wohlergehen und die Privatsphäre von Kindern geschützt werden. Zudem haben Kinder ein Recht auf Bildung – auch im Kontext digitaler Medien. Verkürzt könnte man also sagen: Ein Recht auf altersgerechte Medien und ein Recht auf zeitgemäße Bildung ergeben in der Summe auch ein Recht auf Medienbildung.
Vom „Montagssyndrom“ aus auf den Weg machen
Dabei ist Medienbildung im Elementarbereich gar nicht so neu. Viele Erzieher*innen sehen sich im sogenannten „Montagssyndrom“ auch mit dem wochenendlichen Medienkonsum der Kinder konfrontiert. Sie hören die begeisterten Berichte über die neusten Fernseherlebnisse und Medienhelden, beobachten im Rollenspiel oder in Kinderzeichnungen, was ihre Schützlinge aktuell beschäftigt. Oft sind es dann das interessierte Nachfragen und der Austausch in der Gruppe, die als reflexive Angebote dabei helfen, das Erlebte greifbar zu machen. So hinterfragen aufgeschlossene Erzieher*innen auch die Medienerlebnisse der Kinder und helfen ihnen beispielsweise, mediale Aussagen zu hinterfragen oder Realität und Fiktion zu unterscheiden. Eine subjektorientierte Medienpädagogik legt also den Fokus nicht auf Medien, sondern auf Kinder in deren Medienwelt mit Bezug auf die jeweiligen Bedarfe und Entwicklungsaufgaben. Grundlage für eine fachliche Auseinandersetzung mit den Medienwelten ist ein (medien-)pädagogisches Konzept, die Bereitschaft zu themenbezogenen Fortbildungen, die bildungspartnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Eltern und ein Einrichtungsentwicklungskonzept mit Aussagen zu technischer Ausstattung und fachlichen Standards. Wichtig ist dabei ein klarer Kompass für die Zieldimensionen. Orientiert an den inhaltlichen Schwerpunkten und den technischen Möglichkeiten der Einrichtung lassen sich so auch mit einfachen Mitteln medienpädagogische Projekte umsetzen. Mit Tonaufnahmen oder Mini-Hörspielen können Kinder ihre eigene Stimme hören und damit auch wahrnehmen, wie sie klingen und wirken. Kurze Trickfilme zeigen, wie die Bilder laufen lernen und wie manipulativ „getrickst“ werden kann. Größere Kinder können mit Apps kleine Computerspiele erstellen und so von passiven Rezipient*innen zu Produzent*innen ihrer Medienwelt werden. Auch ohne zusätzliche Medientechnik können Themen wie „Gewalt in den Medien“ oder „Konsumzwänge durch Werbung“ in Gesprächsrunden oder Bildungsangeboten aufgenommen werden: Wenn die Kinder beispielsweise selbst Joghurt machen, können sie feststellen, dass der in der Werbung propagierte nicht unbedingt leckerer ist. Generell brauchen die Fachkräfte dazu Hintergrundwissen zu aktuellen Medienangeboten, die die Kinder beschäftigen.
Forderungen aus dem Elfenbeinturm?
„Die Kita rückt als erste Bildungsinstitution immer stärker in den Fokus des politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Interesses. Die damit steigenden Anforderungen an die Kita können zu einem Gefühl der Überforderung bei den pädagogischen Fachkräften führen. Es ist wichtig, dass auch die Anerkennung des Berufes – und entsprechend auch die Bezahlung – zunimmt.“ Medienpädagogik braucht fachlich fundierte Standards und ein breites Verständnis für den Themenbereich. Grundlagen sind die Integration des Themas in die Ausbildung von pädagogischen Fachkräften und eine Aufnahme in das Bildungsprogramm des Landes. Neben diesen Rahmenbedingungen sind aber auch die umfängliche Ausstattung der Einrichtungen und ein entsprechend der Betreuungsschlüssel wichtige Gelingensfaktoren. Die Wohlfahrts-, Familien- und Kinderrechtsverbände haben passend dazu Forderungen als wesentliche Grundlage für auskömmliche Beziehungs-, Erziehungs-, Betreuungs- und Bildungsprozesse formuliert:
- Bundeseinheitliche Regelungen zur Ausbildung,
- Leitlinien für die pädagogische Arbeit und entsprechende Qualitätsstandards sowie
- eine verträgliche Fachkraft-Kind-Relation.
Diese Forderungen gelten auch für zielgruppengemäße medienpädagogische Schwerpunktthemen und Projekte in diesem Bereich. Daher muss eine Forderung nach medienpädagogischen Bestrebungen immer mit einer angemessenen Würdigung des Elementarbereiches und seiner pädagogischen Fachkräfte einhergehen.
Über die Autoren
Jörg Kratzsch und Olaf Schütte arbeiten bei der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz fjp>media in Magdeburg und bieten regelmäßig für Pädagog*innen praxisnahe Webinare und Weiterbildungen zum Thema „Medien für Kita und Hortkinder“ an.