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Kolumne „(un)klare Sache“

„Es ist an der Zeit“

Jürgen Köhler-Grundmann verfasst regelmäßig für unser Mitgliedermagazin „klar!“ eine Kolumne über gesellschafts- und bildungspolitische Themen.

Nachdem sich Maya von ihren Schulfreunden verabschiedet hat, beginnt sie ihren Heimweg und steht nach wenigen Schritten vor einem verlassenen Fachwerkhaus. „Schön, dich zu sehen“, begrüßt sie wie jedes Mal den Berggeist Rübezahl. Der lächelt von einem Filmplakat und blinzelt ihr zu. Maya schätzt sehr an ihm, dass er gleichermaßen gut erzählen wie zählen kann, auch deshalb mag sie ihn. „Sei gegrüßt, hochgeschätzte Maya. Genießt du diese Stunde? Nein, ich denke, du schaust bekümmert in die Welt.“ „Ach Rübchen, ich muss eine Hausaufgabe zum Thema ‚Was mich sorgt’ erledigen … und mich sorgt, dass ich dafür noch keine Idee habe.“ Die Schülerin und der Berggeist schweigen sich an, bis Maya mit dem Versprechen „demnächst naschen wir beide Gummifrösche“ weitergeht. Sie beobachtet den vollkommenen Flug einer Seifenblase – woher kommt sie, wohin will sie? – und verharrt gleich darauf vor einem hohen Schaufenster, das riesige Bildschirme präsentiert. Sie sieht drei Sänger, die sich zu einem Lied vereint haben, und sie hört die Zeilen: „… ja, auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun …“ 

Da ist endlich mein Thema, meine Sorge in dieser komischen Welt, denkt Maya, und ruft sich den gestrigen Abend am Familientisch in Erinnerung. Mit dem Satz „immer häufiger höre ich Worte wie ‚Aufrüstung‘ und ‚Dienst an der Waffe‘, die machen mir Angst“ wurde ein intensives Gespräch eröffnet: „Für Kanonen und Granaten werden unvorstellbare Summen eingeplant, so, als ginge es um ein Taschengeld.“ „Marschflugkörper – ein harmlos klingendes und doch gruseliges Wort.“ „Ja, ich fühle mich dieser Militarisierung hilflos ausgeliefert.“ „Mich hat keiner gefragt, ob ich die will.“ „Und wohin treiben wir mit dieser Politik?“ 

Die Mama war es, die irgendwann einwarf: „Ich kenne ein Lied, das für mich unsere Situation umschreibt und das zugleich eine Aufforderung enthält. ‚Es ist an der Zeit‘ [von E. Bogle; dt.: H. Wader] heißt es.“ – Und genau diesen Song erlebt Maya soeben, während sie wie gebannt auf den Monitor schaut. Mit einem Friedensbild beginnt es: „Weit in der Champagne im Mitsommergrün …“, doch gleich darauf stellt sich Düsternis ein: „… dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn …“ 

Mittendrin, erinnert sich Maya, steht das schöne Ziel: „… denn nur dort, wo es Frieden gibt, können Zärtlichkeit und Vertrauen gedeihn …“ verbunden mit dem Aufruf „… Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit …“ 

Im Unterricht morgen stelle ich dieses Lied vor, beschließt Maya, und über YouTube hören wir uns dann die Interpretation von Mey – Wader – Wecker an. 

Am nächsten Morgen bittet Maya: „Hallo Rübchen. Wenn ich schon nicht wählen darf, möchte ich Friedenspolitikerin werden. Könntest du mal rauskriegen, auf welche Berufsschule ich dafür gehen muss?“