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Ministerielle Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel

Gratwanderung mit programmiertem Absturz

Es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem die Verantwortlichen des Bildungsministeriums mit ihrer Stellenausschreibung vom September wandern. Offenbar ist die Panik so groß, dass nun fast alle Dämme beim Zulassungsverfahren brechen.

Seit Jahren verfolge ich im Rahmen meiner Personalratsarbeit ein ständig sinkendes Anforderungsprofil für den verantwortungsvollen Beruf der Grundschullehrkraft. In den ersten Jahren forderte man eine Fachgebundenheit, einhergehend mit einem Hochschulabschluss; Lehramt war da noch selbstverständlich. Dann erfolgte klammheimlich bei den Vertretungslehrkräften ein Absenken auf Bachelorniveau. Dies wurde dann übertragen auf das normale Bewerbungsverfahren. Bei der Auswahl der Fächer heißt es ab da nur noch „möglichst“, um bloß keine*n Bewerber*in abzuschrecken. Dann kam die Anwerbewelle bei den Pädagogischen Mitarbeiter*innen, die eine teilweise Unterstufenlehrerausbildung haben oder aber eine Lehrbefähigung in mindestens einem Fach. Parallel dazu erfolgte die Öffnung für Seiteneinsteigende.

Ein Kollege von mir warf der Ministerin im Gespräch vor, dass die Lehrkräfte eine Entwertung ihres Berufes erleben, wenn in den Lehrerzimmern immer mehr Personen auftauchen, die einen Beruf ausüben sollen, auf den sie niemand vorbereitet hat. Parallel aber fordert das Ministerium von den Lehrkräften, dass sie diese Bewerber*innen an die Hand nehmen und ihnen zeigen, wie Schule geht. Selbst dieses Spannungsfeld wird vom Bildungsministerium ignoriert.

Hunderte Seiteneinsteigende und ausgebildete Lehrkräfte stellen sich dieser Aufgabe. Das alles ohne vorbereitendes Coaching und unter einer stellenweise desaströsen Unterrichtsversorgung. Es kann kein Hineinwachsen in die Aufgabe geben. Von Null auf Hundert und das sofort!

Die Wertschätzung für die Erzieher*innen mit Lehrbefähigung und für die Seiteneinsteigenden endet bei schönen Worten. Wer für gleiche Arbeit gleiches Gehalt erwartet, kann damit nicht rechnen. An die Gewährung einer Stufenzulage auf dem Weg der Grundschullehrkräfte zur A 13/E 13 denkt man bei diesen Personengruppen nicht. Schlimmer noch! Die Erzieher*innen mit Lehrbefähigung werden auch beim letzten Angleichungsschritt zur A 13/E 13 mit NICHTS bedacht. Eine Kollegin brachte es treffend wie folgt auf den Punkt: „Nachdem ich die verbale Klatsche der Nichtzahlung einer Zulage (im Umgang mit der Wertigkeit meiner täglichen Arbeit in der Schule) erhalten habe, gehe ich doch in mich und frage mich, wie lange ich mir noch anhören möchte, dass ich nicht gut genug bin. Eine vorzeigbare Lehrbefähigung in Deutsch macht mich nicht zur ‚richtigen‘ Lehrerin. Mit meinem Gehalt tut sich nichts. Seiteneinsteigende werden über die Zeit in die E 11 oder E 12 gesetzt. Das tut mir schon weh! Auf meiner anderthalbstündigen Autofahrt zurück von der Arbeit musste gestern Nachmittag nicht nur der Himmel mit Wasser kämpfen.“ Und jetzt? Jetzt wirbt man ausgebildete Erzieher*innen mit einem Realschulabschluss ohne Fachanerkennung an, schickt diese stellenweise an kleine Grundschulen, wirbt sinnloserweise dann damit, dass diese in der Regel keine Klasse bekommen (ohne zu wissen, wie das gehen soll), befristet die Tätigkeit für ein Jahr und fordert parallel dazu, ein umfangreiches Fortbildungspaket zu absolvieren.

Ich kann allen Bewerber*innen nur raten, folgende Fragen zu stellen: In welche Entgeltgruppe werde ich eingestuft? Wie hoch ist der Unterschiedsbetrag in der Tabelle für den Erziehungsdienst (Tabelle TV-S) mit meiner Einstufung zur Tabelle TV-L beim Land Sachsen-Anhalt? An welche Voraussetzungen sind Höhergruppierungen gebunden? Welche Erfahrungsstufe bekomme ich? Nach deren Beantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten Sie sich gut überlegen, ob der Schuldienst Sachsen-Anhalts Ihr Engagement überhaupt zu würdigen weiß. Finanziell jedenfalls sicher nicht!

Ich will keiner dieser in den jeweiligen Einrichtungen engagiert arbeitenden Erzieher*innen weh tun, aber trotzdem sei es erlaubt, die Frage nach der Absicherung unserer schulischen Qualität zu stellen. Der CDU-Politiker Heuer meinte ja, dass auch Horterzieher*innen mal eine Mathestunde halten oder das ABC lehren könnten. Weshalb habe ich dann dafür studieren müssen, wenn das so einfach ist?

Für all die schlechten Ergebnisse bei IGLU, IQB, PISA, VERA, Zentralen Klassenarbeiten, Prüfungsergebnissen im Abitur oder in der 10. Klasse, Schelte der IHK und und und … werden die engagiert arbeitenden Lehrkräfte in Deutschland verantwortlich gemacht. Wo sollen denn aber Erfolge unter derartigen Bedingungen herkommen? Wir baden an der Basis gegenwärtig unter unmöglichen Bedingungen diese Misere aus, die von der Politik eingebrockt wurde. Wir verschleißen dabei engagierte Bewerber*innen, die nach kurzer Zeit desillusioniert sind und uns und die Kinder gefrustet wieder verlassen. Der Stammlehrkörperbestand wird mit dieser Belastung immer krankheitsanfälliger und niemand sieht Licht am Ende des Tunnels. Bei dieser Gratwanderung ist der Absturz vorprogrammiert.