BAföG
Hilfe für Studierende oder Schuldenfalle für Absolventen?
Bereits seit dem 1. August 2022 wurden zahlreiche Neureglungen ins BAföG eingeführt, aber erst jetzt zeigen sich die Auswirkungen einer verschlafenen Reform. Um die nachfolgende kritische Auseinandersetzung mit dem BAföG besser zu verstehen, gibt es erst einmal einen kurzen Abriss über die zurzeit geltenden Regelungen.
Der Förderungshöchstsatz für Studierende wurde zum Wintersemester 2022 von 861 Euro auf 934 Euro pro Monat erhöht. Das Schonvermögen für unter 30-Jährige ist auf 15.000 Euro angestiegen, für ältere Studierende liegt es jetzt bei 45.000 Euro. Für Ehepartner*innen wie auch für jedes Kind werden noch einmal 2.300 Euro angerechnet, der Wohnungszuschlag wurde von 325 Euro auf 360 Euro gesetzt und die Zuschläge für Studiengebühren im Ausland haben sich von 4.600 Euro auf 5.600 Euro erhöht. Die Höhe des Wohnungszuschlags ist im Verhältnis zum realen Bedarf, der für die Wohnkosten besteht, nicht ausreichend. So hat die 21. Sozialerhebung des DSW (2016) diesen Missstand bereits herausgestellt und die Anpassung von 2019 erreichte erst die Deckung des Bedarfs von 2016. 2019 konnten mit dem zur Verfügung gestellten Wohnungszuschlag durchschnittlich nur etwa 82 Prozent der Wohnkosten gedeckt werden.
Benachteiligung älterer Studierender
Mit dem 26. BAföG-Änderungsgesetz, das am 1. September 2019 in Kraft getreten ist, wurden ein Restschulderlass und ein Kooperationserlass eingeführt, die es ermöglichen sollen, Absolvent*innen finanziell zu entlasten. Diese Regelungen gelten aber nur für diejenigen, die nach dem 1. September 2019 BAföG erhielten. Altschuldner*innen hingegen hatten diese Erlassmöglichkeit nur dann, wenn sie zwischen dem 1. September 2019 und dem 29. Februar 2020 ihr Wahlrecht geltend gemacht haben.
Die Altersgrenze der Förderung wurde zuletzt von 30 auf 45 Jahre bei Beginn der Ausbildung angehoben. Wer aber im Alter von über 45 Jahren, z. B. aufgrund einer Erkrankung, ein Studium oder Zweitstudium aufnehmen will, kann nicht auf das BAföG zurückgreifen. Die Ausbildungsförderung, die aus Spargründen auf die Regelstudienzeit beschränkt ist, geht ohnehin schon an der Lebensrealität der Mehrheit der Studierenden vorbei. Nur ein gutes Drittel aller Studierenden erreicht den Studienabschluss innerhalb der Regelstudienzeit – knapp ein Viertel überschreitet die Regelstudienzeit sogar um mehr als zwei Semester. Dass das Studium in der Regelstudienzeit abgeschlossen wird, ist die Ausnahme, spiegelt also nicht die Studienrealität wider.
Durch die Kopplung des BAföG an die Regelstudienzeit müssen darum entweder Härtefallregelungen oder Studienkredite in Anspruch genommen werden. Auch die Finanzierung eines Masterstudiums nach einer Erwerbsphase zwischen Bachelor und Master kann mit Problemen verbunden sein. Hier muss der Master auch nach einer längeren Erwerbsunterbrechung BAföG-förderfähig werden, dies würde ein kontinuierliches Lernen im Lebensverlauf erhöhen und die Möglichkeiten für ein lebenslanges Lernen bieten. Zudem bestehen noch immer besondere Härten für Studierende über 30 Jahren. Diese sind in der Regel nicht mehr in der studentischen Krankenversicherung versichert, zahlen also höhere Beiträge. Hier hat die vorletzte BAföG-Änderung versucht zu reagieren, indem der durchschnittliche kassenindividuelle Zusatzbeitrag in Höhe von maximal 155 Euro und ein Zuschlag zur Pflegeversicherung in Höhe von maximal 34 Euro berücksichtigt wird. Was noch immer nicht vollumfänglich umgesetzt wird, ist die Berücksichtigung von Familienangehörigen pflegender Studierender. Zwar werden sie mit den Eltern von Kindern gleichgestellt, aber nur, wenn die zu pflegende Person mindestens in den Pflegegrad 3 eingestuft ist.
Studienkredit ist keine Alternative
Mit dem Wintersemester 2019/2020 wurde die bisherige Förderungsart mit verzinslichem Bankdarlehen der KfW abgeschafft. Im Gegenzug wurde für Studierende eine „günstigere neue Förderungsart mit zinslosem Staatsdarlehen (Volldarlehen)“ eingeführt. Dieses Darlehen, welches als „Hilfe zum Studienabschluss“ bezeichnet wird, soll Studierende finanziell absichern, die mehrere Fachrichtungswechsel aus „wichtigem Grund“ unternommen haben. Dieses Volldarlehen ersetzt den KfW-Kredit und der Verzinsungsverzicht soll möglichen Verschuldungsängsten Betroffener begegnen.
Ältere KfW-Kredite werden aber von der Neuregelung nicht berührt. Studierende und Absolventen, die vor dem Wintersemester 2019/2020 einen Studienkredit aufgenommen haben oder zu diesem Zeitpunkt bereits in der Tilgungsphase waren, wurden nicht dauerhaft von der Zinslast befreit. Zwar übernahm der Staat temporär die Zinskosten für das KfW-Darlehen im Rahmen der Covid-19-Maßnahmen, mit deren Auslaufen waren die Bezieher*innen von Bildungskrediten, die mitunter infolge der Pandemie mit weiteren Schulden und Zinsforderungen konfrontiert waren, auch wieder mit einer erhöhten Zinslast konfrontiert. Rückläufige Einkommen bei Studierenden und Absolvent*innen, die sich bereits in der Tilgungsphase von BAföG und Studienkrediten befanden, wurden zwar kurzfristig, aber nicht nachhaltig entlastet. Mögliche Langzeitfolgen, die sich durch die verringerten Einkommen im Tilgungsverhalten zeigen, können sich auf die Mitwirkungspflichten bei der BAföG-Rückzahlung bzw. auf das Tilgungsverhalten bei den Studienkrediten auswirken und so den 2019 beschlossenen Erlassmöglichkeiten entgegenwirken bzw. höhere Zinskosten bei den Studienkrediten nach sich ziehen.
Bei ehemaligen BAföG-Geförderten oder Bezieher*innen von Bildungskrediten führte die Pandemie zudem dazu, dass Darlehen und Bildungskredite nicht wie geplant zurückgezahlt werden konnten. Hier wurde geregelt, dass ein Antrag auf vorübergehende Freistellung beim Bundesverwaltungsamt gestellt und schnell beschieden werden kann. Auch ist die Frage weiterhin offen, wie sich ältere Studierende (älter als 45) ein Studium finanzieren sollen, wenn sie von den kostengünstigen Finanzierungsformen ausgeschlossen sind.
Was muss sich ändern?
Immer wieder haben die Gewerkschaften und Studierendenvertretungen angemahnt, dass wirtschaftlich schwächere und bildungsbenachteiligte Familien größere Ängste vor Verschuldung haben und junge Erwachsene wie auch ältere Studierwillige vom Studium abgehalten werden. Zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit beim Hochschulzugang ist es wichtig, den Darlehensanteil zurückzufahren oder das BAföG wieder komplett auf Vollzuschuss umzustellen. Das Volldarlehen oder Staatsdarlehen, das auch als Studienabschlussdarlehen verkauft wird, zeigt, dass es einen erheblichen Reformbedarf des BAföG gibt und eine Entkopplung von der imaginären Regelstudienzeit vom maximalen Förderzeitraum notwendig ist. Die durchschnittliche Studiendauer liegt in Deutschland bei mehr als zwölf Semestern, also rund zwei bis drei Semester über der Regelstudienzeit. Verzögerungen im Studium entstehen aber nicht nur durch Verschulden der Studierenden, oft sind diese durch schlechte Planung eines Studiengangs von Seiten der Hochschulen mitverschuldet. Das BAföG muss sich also an der durchschnittlichen Studiendauer orientieren und Planungsfehler der Hochschulen mitberücksichtigen und kompensieren.
Auch muss sich die Höhe des BAföG an den realen Lebenshaltungskosten orientieren und nicht aus der Luft gegriffenen Bedarfssetzen folgen, die auf veralteten Daten basieren. Es muss sichergestellt werden, das Studierende nicht über Jahre erheblich unterhalb des Existenzminimums leben müssen, sondern das ganze Studium über mindestens oberhalb des Existenzminimums leben können. Sowohl der Bundesbildungsbericht von 2022 wie auch die 22. Sozialerhebung des DSW von diesem Jahr haben auf die psychologischen und sozialen Auswirkungen von Armut auf den Bildungserfolg hingewiesen. Bereits der Alternative BAföG-Bericht der DGB-Jugend von 2021 und der BAföG-Bericht der Bundesregierung (2022) unterstreichen noch einmal, was die alarmierenden Zahlen zur Studierendenarmut des Paritätischen Gesamtverbandes im Mai 2022 deutlich zu Tage getragen haben (→ EuW berichtete in der Ausgabe 10/2022 über Studierendenarmut auf Höchststand).
Dass es einen erheblichen Nachbesserungsbedarf bei den Regelungen des BAföG gibt, hatte auch das Bundesverwaltungsgericht im Mai 2021 festgestellt (BVerwG 5 C 11.18) und die Sache an das Bundesverfassungsgericht überwiesen. Die DGB-Jugend und alle Teilgewerkschaften hatten kurz darauf BAföG-Empfänger*innen aufgefordert, Widerspruch gegen ihre Bewilligungsbescheide einzulegen, weil diese gegen das im Grundgesetz festgeschriebene Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs.1 GG), Teilhaberecht (Art. 12 Abs. 1 GG) und Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) verstoßen. Wie prekär die gegenwärtige Studiensituation für BAföG-Empfänger*innen ist, zeigt sich bereits daran, dass selbst konservative regionale Zeitungen wie die Mitteldeutsche Zeitung dem Thema Aufmerksamkeit schenken und auf mehreren Seiten darüber berichten.
Gerade in einem strukturschwachen Bundesland wie Sachsen-Anhalt, in dem viele Studierende vom BAföG existenziell abhängig sind, wird eine Anpassung des BAföG eine erhebliche Verbesserung der Studiensituation für viele Studierende nach sich ziehen. Um dies zu erreichen, unterstützen der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) und die GEW das Klageverfahren einer Studentin vor dem Bundesverfassungsgericht. „Die Bundesregierung sollte der absehbaren Klatsche aus Karlsruhe zuvorkommen und jetzt die Weichen für eine BAföG-Reform stellen“ sagten Rahel Schüssler vom fzs und Andreas Keller in einer Pressekonferenz am 29.06.2023.