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Lehrkräftemangel in Sachsen-Anhalt

Hürden für Seiteneinsteigende aus dem Weg räumen!

Sachsen-Anhalt ist das Bundesland mit dem größten Lehrkräftemangel. Vor allem Grundschulen sind von einer starken Unterversorgung betroffen. Wir brauchen die Seiteneinsteigenden dringend, aber für deren gelungenen Einsatz müssen endlich die Hürden gesenkt werden!

Letzte Rettung Seiteneinstieg

Die Beschäftigten an Schulen sind mit großem Engagement im täglichen Einsatz, aber sie können keine Wunder vollbringen. Wie soll immer weniger Personal die Qualität von Schule und Unterricht aufrechterhalten? Wie sollen die Schulen den Lehrkräftemangel verkraften?

Was hat die Landesregierung nicht alles versucht, um vermehrt Lehrkräfte in die Klassenzimmer zu holen? Headhunter sind im Einsatz, mit einem virtuellen Speeddating hat das Bildungsministerium gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit jüngst versucht, geeignete Kandidat*innen für den Seiteneinstieg zu gewinnen und der vom Ministerpräsidenten Haseloff einberufene Bildungsgipfel ist ein weiterer Strohhalm. Aber alle bisher von der Landesregierung ergriffenen Maßnahmen sind absolut nicht ausreichend. Sie kommen zu spät, sie wälzen das Problem auf die Schulen ab und erhöhen damit die sowieso schon übergroße Belastung. Fakt ist, dass wir die Seiteneinsteigenden dringend brauchen, aber um die Personalnot an Schulen zu überwinden, müssen endlich die Hürden für Seiteneinsteigende gesenkt werden!
 

Mit Seiteneinsteigenden die Personalnot an Schulen überwinden

Verlässliche Zahlen der Seiteneinsteigenden sind schwer zu finden – manche Kolleg*innen scheiden aus den unterschiedlichsten Gründen wieder aus oder die Vertragslaufzeiten werden nicht verlängert –, es gibt aber immer mal wieder Abfragen zur Anzahl der Seiteneinsteigenden im Zusammenhang mit den einzelnen Ausschreibungen (siehe Tabelle unten). Diese Zahlen beschreiben die Einstellung der Seiteneinsteigenden, der Lehrkräfte und Pädagogischen Mitarbeiter*innen (PM) zwischen August und November 2022. Weiterhin gibt es eine etwas umfangreichere kleine Landtagsanfrage vom 21.2.2022, DS 8/778.

 
Schulform Lehrkräfte Pädagogische Mitarbeitende Seiteneinsteigende
Berufsbildende Schule 26   17
Förderschule 22 27 16
Gemeinschaftsschule 21 4 29
Grundschule 99 18 52
Gymnasium 99   29
Kooperative Gesamtschule 13   14
Sekundarschule 39 6 55
Gesamt 319 55 212

 

Tatsächlich haben es Seiteneinsteigende wirklich schwer. Sie müssen ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Ehrgeiz aufbringen, um im Lehrerberuf zu bestehen. Sie müssen sich plötzlich mit nörgelnden Schüler*innen und Eltern auseinandersetzen, verlässlichen Unterricht planen und werden ohne nennenswerte Vorbereitung sofort mit 25 Stunden konfrontiert.
Das System räumt den neuen Kolleg*innen keine Zeit ein, um langsam im Job anzukommen. Die GEW Sachsen-Anhalt fordert hier, dass sie am Anfang für etwa ein halbes Jahr ein Drittel
weniger unterrichten sollten – das wäre eine Verminderung um acht Stunden. Weiterhin mangelt es an Mentor*innen, die helfen können. Im Prinzip sind Mentor*innen zwar da, werden aber aufgrund der Personalknappheit mehr oder weniger für den Vertretungsunterricht eingesetzt.

 

Mangelnde Qualifizierungsmöglichkeiten bisher

Ein weiteres Problem sind die mangelnden Qualifizierungsmöglichkeiten, die seitens des Ministeriums für Seiteneinsteigende angeboten werden. Wir hören vermehrt von unseren Mitgliedern oder von Personalräten, dass oft Abschlüsse nicht anerkannt werden und überhaupt gar nicht darauf geschaut wird, was die Bewerber*innen für berufliche Vorgeschichten bzw. Qualifikationen haben. Vor allem fehlt es auch hier an Zeit für Qualifizierung und an der Anerkennung der Fächer durch das Land.

Folgende Wege für den Seiteneinstieg werden derzeit beschritten:

  1. Seiteneinsteiger*innen, das heißt Kolleg*innen mit einem Masterabschluss bzw. wissenschaftlichem Hochschulabschluss, die ohne pädagogische Voraussetzungen in den Schuldienst kommen und denen zwei Fächer anerkannt werden, können derzeit gleich den berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst absolvieren und sind dann voll qualifizierte Lehrkräfte.
  2. Seiteneinsteiger*innen, denen ein Fach anerkannt wird, können derzeit ein zweites Fach studieren und dann berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst leisten und sind dann voll qualifizierte Lehrkräfte.
  3. Seiteneinsteiger*innen, denen kein Fach anerkannt wurde, können sich derzeit nicht qualifizieren.
  4. Seiteneinsteiger*innen, die keinen wissenschaftlichen Hochschulabschluss haben und über einen Bachelor-Abschluss verfügen, können sich nicht qualifizieren.
  5. Eine Anerkennung nach fünf Jahren Schuldienst mit einer entsprechenden Fortbildung gibt es derzeit noch nicht.
  6. Es gibt noch Quereinsteiger*innen, das heißt Kolleg*innen mit einem Masterabschluss bzw. wissenschaftlichem Hochschulabschluss, denen zwei Fächer anerkannt werden. Sie könnten sofort ins Referendariat gehen ohne vorherige Einstellung in den Schuldienst.

Wie kann der Seiteneinstieg gelingen?

Die GEW Sachsen-Anhalt fordert folgende Maßnahmen, um Seiten- oder Quereinsteiger*innen den Einstieg in den Lehrberuf zu erleichtern:

  1. Es müssen Weiterbildungsmöglichkeiten für Seiteneinsteiger*innen, die sich derzeit noch nicht qualifizieren können, u. a. für Kolleg*innen mit Bachelor-Abschluss, entwickelt werden. Es gibt ein Modell aus Brandenburg, das eine Möglichkeit beschreiben könnte. Brandenburg hat erst vor Kurzem eine Beamtenlaufbahn für Seiteneinsteigende mit Bachelor-Abschluss geöffnet. Auch in Sachsen-Anhalt gab es schon einmal ein Modell, mit dem damals Fachhochschulabsolvent*innen zunächst ein Hochschulstudium absolvieren konnten und dann das Referendariat angeboten wurde.
  2. Es muss die Anerkennung als Lehrkraft und damit die entsprechende Bezahlung nach mehreren Jahren erfolgreichen Schuldienst und erfolgter Fortbildung (ca. nach fünf Jahren) möglich sein. Das wäre ein Seiteneinstieg ohne Weiterbildung und ohne Studium. Diesen Weg beschreitet Mecklenburg-Vorpommern inzwischen.
  3. Es muss ermöglicht werden, dass auch Seiteneinsteigende mit einem Fach den Vorbereitungsdienst absolvieren können und dann als Ein-Fach-Lehrkräfte unterrichten (aktuell gibt es die im Schuldienst) und für ehemalige DDR-Lehrkräfte gibt es ebenfalls (noch) eine Laufbahn, sodass die Kolleg*innen mit E 13 bezahlt werden. Warum sollte man diese Laufbahn nicht auch (vielleicht vorübergehend) für Seiteneinsteigende öffnen? Im Seminar für den Vorbereitungsdienst sind viele Plätze frei. Die Seiteneinsteigenden brauchen vor allem pädagogische Kenntnisse, die können dort vermittelt werden. Ein promovierter Physiker muss nicht erst ein zweites Fach studieren, er könnte sofort in den Vorbereitungsdienst gehen.
  4. Die Betreuung der Seiteneinsteigenden in den Schulen durch Mentor*innen muss gesichert werden. Die derzeitigen zwei Anrechnungsstunden für solche Mentor*innen fallen oft unter den Tisch, weil Lehrkräftemangel besteht. Eventuell könnte man hier auch Kolleg*innen gewinnen, die aus dem Schuldienst ausscheiden oder ausgeschieden sind; als Mentor*innen würden viele sicherlich noch wertvolle Hilfe und Tipps geben können.
  5. Es muss die Möglichkeit geben, Fächer freier kombinieren zu können. Dies kann ein Weg sein, mehr Menschen für ein Lehramtsstudium zu begeistern. Wenn man Deutsch nicht nur mit Wirtschaft, Technik oder einem Berufsschullehramt, sondern auch mit Sport, Ethik oder etwa Sozialkunde kombinieren könnte, würde das möglicherweise einen Aufschwung bringen. Diese Maßnahme ließe sich von heute auf morgen ohne größeren finanziellen Aufwand umsetzen. Darüber hinaus fordert die GEW Sachsen-Anhalt von der Landesregierung, dass das Problem des Lehrkräftemangels schon bei der Lehrer*innenausbildung angegangen wird. Wir fordern eine Aufstockung der Lehramtsausbildung und eine Ausfinanzierung der Studiengänge! Zudem müssen die Arbeitsbelastungen endlich gesenkt und der Lehrberuf attraktiv gestaltet werden!

Die völlig verfehlte Personal- und Bildungspolitik der vergangenen Jahre lässt Sachsen-Anhalt nun gar keine andere Wahl, als Seiteneinsteigende einzustellen. Das Land braucht Menschen aus anderen Berufsfeldern, um den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten. In unserem Nachbarbundesland sind Anfang des Jahres die Hürden gesenkt worden: Zur Gewinnung von Lehrkräften will Brandenburg künftig auch Seiteneinsteigende im Schuldienst mit einem Bachelorabschluss verbeamten. Seiteneinsteigende, die kein Pädagogik-Studium absolviert haben, durchlaufen zunächst eine Zusatzqualifikation. Anschließend sollen die Lehrkräfte mit Bachelor-Abschluss bei Unterricht in zwei Fächern als Bildungsamtsrat/-rätin in der Besoldungsgruppe A 12 und bei Unterricht in nur einem Fach als Bildungsamtmann/-frau in der Besoldungsgruppe A 11 verbeamtet werden können. Könnte das bei uns in Sachsen-Anhalt ein Weg sein, um mehr Seiteneinsteigende in den Schuldienst zu locken?

Zumindest hat Mitte März die Kultusministerkonferenz (KMK) weitere Maßnahmen als Reaktion auf den Lehrkräftebedarf festgehalten: Demnach werden die Länder dazu angehalten, Quer- oder Seiteneinsteigenden aus anderen Studiengängen bzw. mit anderen Studienabschlüssen den Einstieg in den Lehrberuf zu erleichtern. Laut KMK sollen die Länder die Möglichkeit prüfen, die bestehende Öffnung für den Lehramtstyp 5 (Sek II Lehramt für die beruflichen Schulen) bundesweit temporär auf die allgemeinbildenden Lehrämter zu erweitern. Diese Öffnung ermöglicht es Studierenden, nach einem Einfach-Bachelorstudiengang eines Bedarfsfaches in den Master of Education einzutreten und fehlende Inhalte vollumfänglich nachzuholen. In diesem Zusammenhang soll auch die Öffnung der dualen Studiengänge als Einstieg in den Lehrberuf geprüft werden. Ziel ist, Quer- und Seiteneinsteigende als vollwertige Lehrkräfte einzusetzen, sodass auch Qualifikationen bei einem Landeswechsel anerkannt werden. Dafür sollen die Länder gemeinsame Standards erarbeiten.

Was die Erfolgsquote angeht, gibt es in diesem Bereich positive wie negative Erfahrungen. Alle Seiteneinsteigenden müssen sich am Anfang sicherlich durchbeißen, dabei gibt es gleichermaßen Erfolge und Abbrüche. Ärgerlich ist jedoch, dass sich Sachsen-Anhalt mit starren Zugangsregelungen Chancen verspielt und mitunter so fähige Arbeitskräfte verliert.

Positive Erfahrungen zum Seiteneinstieg gibt es vielzählige (darüber haben wir in unserer Mitgliederzeitung EuW auch schon berichtet) – eine Hochachtung an alle, denen der Einstieg in den Unterricht gelingt und die die Doppelbelastung im Schulalltag und in der Qualifikation meistern!

 

Kontakt
Christiane Rex
Gewerkschaftssekretärin für Information und Kommunikation & Pressesprecherin GEW Sachsen-Anhalt
Adresse Kleiner Berlin 2
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Mobil:  0151 578 414 25