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Gewerkschaften bekämpfen Kinderarbeit

Marlis Tepe war zwei Wochen für die GEW-Stiftung fair childhood in Malawi

Vorfreude und Respekt vor dem Unbekannten – das war meine Gefühlslage, als ich meine Studien-und Projektreise nach Malawi antrat. Seit 2013 kenne ich als Vorstandsmitglied der GEW-Stiftung fair childhood unsere Projekte aus Anträgen, Berichten, Fotos und Filmen. Nun war ich selbst das erste Mal vor Ort in Afrika: neugierig, angespannt, ergebnisoffen, ob die Stiftung wirkt. „Welcome in Malawi, the warm heart of Africa!“, so wurde ich nachts um 2:30 Uhr am Flughafen herzlich begrüßt und freundlich in Empfang genommen.

Foto: Trudy Kerperien

In der ersten Dezemberwoche kamen in Malawi die Projektverantwortlichen aus Burundi, Malawi, Mali, Senegal, Togo, Uganda und Simbabwe mit Verantwortlichen der Bildungsinternationale, der mitfinanzierenden niederländischen Gewerkschaft AOb (Algemene Onderwijsbond) und mir für fair childhood zu einem Austausch über den Kampf gegen Kinderarbeit zusammen. 

Die Verständigung klappte nicht über unsere Muttersprachen, gelang aber über die Zweitsprachen Französisch oder Englisch prima, haben wir doch ein gemeinsames Ziel: Das Menschenrecht auf Bildung soll allen Kindern zu Teil werden. Wir können die Welt verändern. Wenn nicht wir, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann dann? In der gesamten Zeit war spürbar, wie sehr alle Teilnehmenden für unser gemeinsames Anliegen brannten. Voneinander lernen bedeutete hier, die Besonderheiten im jeweiligen Land den anderen bekannt zu machen, damit sie das Vorgehen in ihre Arbeit einbauen können. Hinter diesen Maximen vereint bereicherte uns der Austausch.

Die Fahrt zu unseren Schulbesuchen führte mir die Armut, die Not der Menschen deutlich vor Augen. Rote Erde weit und breit, die Felder wurden überall per Hand mit der Hacke aufgelockert. Nur an wenigen Stellen wuchsen Mais, Maniok oder Kohl, ein Wasserloch in der Nähe war dafür Voraussetzung. Privater Autoverkehr kam auf dem Land nicht vor. Fahrrad- oder Motorradtaxis und in Stadtnähe massiv überladene Kleinbusse boten ihre Dienste an. Das Benzin war so teuer wie hier, aber die Lehrer*innen verdienen 130 € im Monat. Einraumhäuser aus Ziegeln, in der Nähe des Malawisees aus Schilf hergestellt. Malawi gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.

Foto: Jamil Jalla

In der Schule begrüßten uns die Schüler*innen überschwänglich. Sie warteten darauf, uns ihre Rollenspiele, Gedichte und Lieder vorzutragen. Die anderen Schüler*innen hörten gespannt zu. Beeindruckende Arbeit unserer malawischen Kolleg*innen, die nach der Methode SCREAM (Supporting Children's Rights through Education, the Arts, and the Media), einem 2002 von der ILO (International Labour Organization) ausgearbeiteten Plan, fortbilden. Sie verfolgt einen interaktiven Ansatz, bei dem kreative Mittel wie Theater, Kunst, Musik und Medien eingesetzt werden, um junge Menschen, Lehrkräfte, Mütter und Gemeinden für das Verständnis von und den Einsatz für die Rechte der Kinder zu gewinnen.

Im Austausch mit den Kolleg*innen wurde immer wieder klar: Es ist eine Frage der Haltung der Eltern, ob die Kinder die Schule besuchen oder arbeiten. Der Beitrag, den die Kinder zum Einkommen leisten, sei marginal und könne auch von den Eltern erbracht werden. Wenn Eltern selbst nicht in die Schule gegangen sind, müssten sie erst überzeugt werden, dass der Schulbesuch für ihre Kinder wichtig sein könnte. SCREAM ist ein wirksames Mittel. Das konnten wir in der Chigudu-Zone (Tabakanbaugebiet), die schon drei Jahre nach dem Prinzip arbeitet, sehen: 2678 Kinder wurden zurück an die Schulen geholt. An allen 13 Primarschulen (Kl. 1 bis 8) der Yambezone (Fischerei) wurden im Mai 2024 fünfundsechzig Lehrkräfte und Schulleiter*innen vier Tage in Kinderrechten, SCREAM und sozialem Dialog ausgebildet. Im Vorweg hatte unser Projektkoordinator mit seiner Gewerkschaft TUM (Teachers Union of Malawi) und PSEUM (Private School Education Union of Malawi) die Bezirksverwaltung, das Bezirksbildungsnetzwerk, die Schulrätin und Schulleitungen in einem sozialen Dialog auf das Programm zur Bekämpfung der Kinderarbeit eingeschworen.

Zusammen mit unseren afrikanischen Kolleg*innen nahmen wir in zwei Schulen an einem sozialen Dialog mit den Chiefs der Dörfer – darunter zu meiner Überraschung auch Frauen – teil. Einmal in einem Unterrichtsraum, einmal draußen: Unter Bäumen saßen Männer zusammen und mit Abstand unter einem anderen Baum Frauen – alle auf dem Boden. Man konnte ihnen die drückende Hitze anmerken. Für uns standen Stühle bereit.

Dabei wurde erstaunlich offen wichtige Themen angesprochen: Für den Schulbesuch von Mädchen müssen Menstruationsprodukte hergestellt werden, eine größere Anzahl von Toiletten sollten Mädchen vorbehalten sein, Mädchen haben das Recht nicht frühverheiratet zu werden, im Falle einer Schwangerschaft können sie nach der Geburt wieder die Schule besuchen. In diesen Gesprächen wurde deutlich, dass die gesamte Dorfgemeinschaft sich daran beteiligt, Kinder aus der Arbeit in die Schule zu holen. „Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf,“ dieses afrikanische Sprichwort ist der Anspruch, umso mehr, wenn Einstellungen zum Kind verändert werden sollen. Unsere Kolleg*innen überzeugen die Gemeinschaft, dass Kinder ein Recht auf Schulbesuch bis zum 16. Lebensjahr haben und dass sie erst ab 18 heiraten sollten. In allen afrikanischen Projektländern besteht Schulpflicht, wird aber nicht vom Staat kontrolliert. In der besuchten Projektregion haben so die Chiefs örtliche Verhaltensregeln eingeführt. Als Strafe für Kinderarbeit müssen die Eltern ein Huhn oder eine Ziege an die Chiefs abgeben. Das Geld aus deren Verkauf erhält die Schule für Material. Auf die Nachfrage, ob diese Regeln nur zum Drohen genutzt oder tatsächlich angewendet werden, wurde bestätigt, dass sie gelegentlich Anwendung finden und wirken.

Besonders in Erinnerung bleiben wird mir ein junger Kollege, der mir mit strahlenden Augen seinen Action Plan erläuterte. Auch die blinde Kollegin werde ich nicht vergessen. Als ich sagte, dass ich bei uns kaum blinde Kolleg*innen an Regelschulen erlebt habe, sagte sie einfach: Wir leben Inklusion. Dank der Arbeit unserer Gewerkschaftskolleg*innen wirkt das Geld von fair childhood. Das macht Mut. Es ist in jedem Fall sinnvoll angelegt.