Rede von Malte Gerken auf der Kundgebung gegen Arbeitszeiterhöhung
„Nehmen Sie die unsinnigen Mehrbelastungen zurück!“
Die folgende Rede sprach der stellvertretende Vorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt Malte Gerken am 14. Februar in Halle auf der Kundgebung gegen die Arbeitszeiterhöhung der Lehrkräfte zum Publikum.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin fassungslos! Da haben die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker ohne jegliche Weitsicht unsere früheren Kolleginnen und Kollegen vorzeitig nach Hause geschickt, haben unsere Warnungen als GEW vor der Situation, wie wir sie heute haben, in den Wind geschlagen, und jetzt, wo es ernst wird, sollen wir die verfehlte Personalpolitik der letzten 30 Jahre alleine ausbügeln. Das ist das Allerletzte!
Aber das ist erst der Anfang. Ich will euch mal berichten, was noch gleich mit erledigt werden soll: Da wir alle in Verwaltungsarbeit ersticken, haben die GEW und die Berufsverbände den Vorschlag gemacht, Schulassistent*innen einzustellen, um uns zu entlasten. Ja, die Stellen wurden ausgeschrieben, aber im gleichen Atemzug sollen jeder Schule, die eine Assistentenstelle bekommt, die Anrechnungsstunden um ein Drittel gekürzt werden. Statt Entlastung zusätzliche Belastung! Die Schulassistent*innen werden zum Minusgeschäft. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Und ja, wir kennen die Argumente unseres Dienstherrn. „Wir müssen doch den Unterricht sicherstellen und können uns leider keine Lehrkräfte backen.“
Lieber Herr Finanzminister Richter, liebe Bildungsministerin Feußner: Das wissen wir und niemand bestreitet es. Aber warum Sie dann die wenigen frisch gebackenen Lehrkräfte und Seiteneinsteigende mit solchen Vorhaben unbedingt noch vergraulen müssen, ist mir unbegreiflich!
Dies fordern wir, um die Situation an den Schulen zu verbessern:
- Bezahlen Sie sofort alle Grundschullehrkräfte wie alle anderen, weil sie es verdienen!
- Bringen Sie endlich Beförderungsstellen für schulleitungsunterstützende Tätigkeiten aus!
- Bieten Sie den Seiteneinsteigenden endlich eine unkomplizierte und durchdachte Qualifizierungsmöglichkeit zur vollwertigen Lehrkraft!
- Entlasten Sie die Kolleg*innen, die sich schon seit Jahrzehnten reinhängen durch Anrechnungsstunden und das nicht erst im letzten Jahr!
- Investieren Sie in die Schulbauten und die Ausstattung, um akzeptable Lern- und Lehrbedingungen zu schaffen!
- Bringen Sie unserem Beruf endlich die Anerkennung entgegen, die er verdient, anstatt die Fehler der Vergangenheit auf unserem Rücken auszutragen!
Machen Sie das, statt Vorgriffstunden und Anrechnungsstreichung, damit werden Sie den Lehrer*innenmangel in den Griff bekommen! Und erzählen Sie uns nicht, wir hätten auch keine besseren Ideen, denn hier sind sie.
Greifen Sie auch dort ein, wo die Misere beginnt:
- Stärken sie endlich die universitäre Ausbildung im Lehramtsbereich!
- Schaffen Sie mehr Studienplätze statt unsinniger Kürzungen!
- Bieten Sie den ausbildenden Wissenschaftler*innen einen sicheren Arbeitsplatz statt unsoziale Kettenbefristungen!
Denn unsere Kinder und Enkelkinder wollen solche katastrophalen Zustände in der Bildung mit Sicherheit nicht erleben.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gehen die Urheber dieser Pläne davon aus, dass sie in der Bevölkerung damit auch noch auf Zustimmung stoßen. Aber diese Saat geht diesmal nicht auf. Sehr viele Menschen wissen, was wir leisten, und zeigen sich mit uns solidarisch. Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen!
Und denjenigen wenigen verbliebenen Menschen, die sich anmaßen, unsere Arbeit beurteilen zu können, und meinen, wir könnten locker eine Stunde und noch mehr arbeiten, denjenigen geben wir das mit auf den Weg: Vor 150 Jahren betrug die durchschnittliche Arbeitszeit 70 Stunden pro Woche – fast das doppelte wie heute –, die Unterrichtsverpflichtung für Lehrkräfte betrug vor 150 Jahren 26 Stunden und das ist genauso viel wie heute! Niemand von uns hat je den Vorschlag gemacht, die 70-Stunden-Woche wieder einzuführen, um den Fachkräftemangel zu beheben, weil es zur Problemlösung genauso wenig taugt wie die Vorgriffstunde, und weil wir Respekt haben vor der Arbeit unserer Mitmenschen! Und diesen Respekt vor unserer Arbeit, den fordern wir mit gutem Gewissen auch von unseren Mitmenschen und unserem Arbeitgeber. Wir haben einen harten Job und wir machen gute Arbeit.
Wir sind heute hier, weil uns unsere Schüler*innen am Herzen liegen. Das ist gut und das ist richtig so. Falsch ist es, im Lehrerzimmer die große Klappe zu haben und, wenn es drauf ankommt wie heute, sich wegzuducken, aber am Ende alles mitzunehmen, was wir uns erkämpft haben. Das ist unkollegial und nützt nur den Plänen der Landesregierung!
Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ist nichts endgültig entschieden! Und deshalb appellieren wir gemeinsam an unsere Politiker*innen, die in Kürze über diese Pläne entscheiden werden: Niemand, außer Sie selber, glaubt an eine Verbesserung der Situation durch Ihre Vorhaben! Beweisen Sie die Größe und den Mut, diese unsinnigen Mehrbelastungen zurückzunehmen, und suchen Sie mit uns andere Wege, um den Lehrkräftemangel zu überwinden! Wir sind am Limit!