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Fazit zur Podiumsdiskussion an der Otto-von-Guericke-Universität

Ohne zu kämpfen wird es nicht gehen

Am 28.11.23 fand die Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt), Michael Richter (Minister für Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt) und Prof. Dr.-Ing. Jens Strackeljan (Rektor der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) statt. Es handelte sich um einen Nachholtermin für die Veranstaltung, welche bereits im Sommer hätte stattfinden sollen. Die Veranstaltung organisierte das Aktionskollektiv der OvGU, das im Mai den Hörsaal 1 der Universität besetzt hatte. Der Hörsaal war mit etwa 200 Teilnehmenden gut besucht. Unter den Teilnehmenden waren studentische Beschäftige von mehreren Hochschulen/Forschungseinrichtungen aus Sachsen-Anhalt, weitere Mitarbeitende der Universität und interessierte Bürger*innen.

Im Rahmen der Podiumsdiskussion wurden im Vorfeld drei sehr umfangreiche Schwerpunkte festgelegt: Klimagerechtigkeit, TV Stud und die Ausfinanzierung der Hochschulen. Neben den Politikern und dem Rektor, war ein Vertreter des Aktionskollektivs, Leon Bahnik, und ein*e Vertreter*in des Studierendenrats, Gabriel Rücker, auf dem Podium vertreten. Zu den drei Schwerpunktthemen wurde jeweils ein*e Expert*in geladen, um seine*ihre Sicht in die Diskussion einzubringen. Als GEW waren wir zu den Themen TV Stud durch die studentische Hilfskraft Richard Bormann und zur Hochschulfinanzierung durch die wissenschaftliche Mitarbeiterin Tina Rosner-Merker vertreten.

Der TV Stud ist längst überfällig

Zu Beginn der Diskussion hat Leon typische Erfahrungsberichte von zwei studentischen Beschäftigten eingebracht, bei denen allseits bekannte Probleme hervorgehoben wurden: Häufig werden unbezahlte Überstunden geleistet, wobei die Gründe primär bei dem hohen Erwartungsdruck und der ständigen Verfügbarkeit liegen. Der Urlaubsanspruch wird oft nicht wahrgenommen und man verdient Mindestlohn, obwohl besondere akademische Kenntnisse für die Stelle vorausgesetzt werden.

Von Seiten der beiden Politiker wurde Leon und unserem TV Stud-Kollegen sehr deutlich zurückgemeldet, dass aus ihrer Sicht eine Tarifierung nichts an den beschriebenen Missständen ändern würde. Der gut gemeinte Ratschlag von Herrn Willingmann, man müsse bei Arbeitsrechtsverstößen seine Stimme erheben, widerspricht jedoch unseren Vorstellungen von guten Beschäftigungsbedingungen und kollektiver Interessensvertretung. Unsere Erfahrung als GEW zeigt: In den wenigsten Fällen lassen sich studentische Beschäftigte auf eine individuelle Klage ein. Dabei ist ein wichtiger Faktor, dass die Arbeit an der Uni für viele die Zugangstür zur Promotion darstellt (S. 9).

So war Gabriels Einwand, dass es zu kurz gegriffen sei, bei Arbeitsrechtsverstößen auf den*die Einzelne*n zu verweisen, mehr als berechtigt. Das Problem sei ein strukturelles und hat sehr viel mit einem asymmetrischen Machtgefälle zu tun.

Natürlich finden auch wir es traurig, dass wir sogar für die Einhaltung von bereits bestehenden Mindeststandards kämpfen müssen und es stimmt, dass in Berlin – dem einzigen Land mit Tarifvertrag – in der Praxis ebenfalls Arbeitsrechtsverstöße stattfinden. Eine Tarifierung ist demnach nicht unbedingt ein Garant für die Einhaltung von Arbeitnehmer*innenrechten, führt jedoch in vielerlei Hinsicht zu deutlichen Verbesserungen: In Berlin sind die Beschäftigten beispielsweise besser über ihre Rechte informiert (S. 89), sie nehmen ihren Urlaub eher in Anspruch (S. 90), sie wissen eher, dass es eine Personalvertretung gibt (S. 93) und Krankheitstage werden seltener nachgearbeitet (S. 91 f.). Ein Tarifvertrag und somit stabilere Arbeitsbedingungen eröffnen den studentischen Beschäftigten erst einmal eine ganz andere Verhandlungsbasis, um eben jene Schritte eingehen zu können, die von den Ministern empfohlen wurden. Diesen Zusammenhang blendeten beide Politiker den gesamten Abend über konstant aus.

Im Rahmen der Diskussion um TV Stud ist besonders die Art und Weise aufgefallen, wie mit Richard, den TV Stud-Aktiven und den Studierenden im Saal gesprochen wurde. Der Ton und die Gesten von Herrn Richter waren stellenweise belehrend, wobei zeitweise der Eindruck entstand, dass er der Jugend das mit den Tarifverhandlungen nun erst einmal erklären möchte. Er ist sich dessen wahrscheinlich nicht bewusst: Eine große Anzahl von TV Stud-Aktiven aus dem gesamten Bundesgebiet ist in eigenen Verhandlungskommissionen in Potsdam dabei und bestens über den Charakter dieser Verhandlungen informiert. Erstaunlicherweise schien außerdem der Hinweis auf die Studienergebnisse einen Neuigkeitscharakter für die Beteiligten zu haben. Das obwohl es in diesem Jahr bereits Gespräche zur Studie und zu TV Stud mit dem Staatssekretär Wünsch (wir berichteten online), mit Minister Willingmann (zum Instagram-Beitrag) und der amtierenden Kanzlerin der OvGU, Angela Matthies (zum Online-Artikel), gab. Die GEW-Landesvorsitzende Eva Gerth hat im Rahmen von zwei Personalversammlungen an der OvGU ebenfalls mehrfach auf die Problematik hingewiesen.

Da die Notwendigkeit einer Tarifierung für die Diskutant*innen scheinbar nicht unbedingt nachvollziehbar war, ergibt es vielleicht Sinn, doch noch einmal nach Berlin zu schauen und auf die Vorzüge des dortigen Tarifvertrags hinzuweisen:

Erstens gibt es in Berlin Mindestvertragslaufszeiten von i.d.R. vier Semestern (entsprechend des Berliner Hochschulgesetzes) (§ 4 TV Stud III). In Sachsen-Anhalt sind die Verträge hingegen i.d.R. 6,1 Monate kurz, wobei die Studienteilnehmenden (bundesweit) im Schnitt bereits seit 20,2 Monaten auf der gleichen Stelle arbeiten und damit durchschnittlich 4,6 Verträge in Folge abschließen (S. 76). Kettenverträge sind dementsprechend die Regel und Planbarkeit nicht möglich. Wir fordern dementsprechend Mindestvertragslaufzeiten von zwei Jahren.

Zweitens darf die durchschnittliche monatliche Arbeitszeit (ebenfalls entsprechend des Hochschulgesetzes) nicht weniger als 40 Stunden im Monat betragen (§ 5 Abs. 1 S. 2 TV Stud III). Das dient primär der Existenzsicherung der Studierenden, wobei – das wissen wir aus der Studie – die Tätigkeit an der Hochschule für den Großteil der Beschäftigten die Haupteinnahmequelle darstellt, mit welcher sie sich ihr Studium finanzieren müssen (S. 67). Daneben wird durch den Mindestumfang die Sozialversicherungspflichtigkeit hergestellt.

Drittens ist klar geregelt, dass die Vor- und Nachbereitung bei Beschäftigten mit Unterrichtsaufgaben eingeschlossen sind und angemessen auf die Vorlesungszeit und die vorlesungsfreie Zeit zu verteilen sind (§ 5 Abs. 2 TV Stud III). Unter den befragten Studierenden, geben vor allem die Tutor*innen mit 50,6 Prozent an, überdurchschnittlich häufig unbezahlte Überstunden zu leisten. 12,3 Prozent geben sogar an, „immer über das vertraglich festgelegte monatliche Stundenpensum hinaus zu arbeiten“ (S. 87). Leider lässt sich hier kein „Berlin-Effekt“ erkennen, weshalb zur Verhinderung von unbezahlten Überstunden die Tarifierung alleine tatsächlich nicht auszureichen scheint (S. 87 f.). Das ist aber dennoch kein Argument gegen eine Tarifierung.

Im TV Stud III gibt es viertens Zeitzuschläge „für die Abgeltung angeordneter Arbeit an Sonntagen, Feiertagen, während Nachtzeiten (zwischen 21 Uhr und 6 Uhr) oder an Samstagen in der Zeit von 12 bis 21 Uhr […]“ (§ 6 S. 1). Wir fordern ebenfalls für alle studentischen Beschäftigten Zeitzuschläge und darüber hinaus Jahressonderzahlungen.

Anders als bundesweit üblich müssen Hilfskräfte in Berlin außerdem nicht darauf warten und hoffen, dass sich ihr Gehalt von alleine erhöht, sondern die Anpassung des Gehalts ist i.d.R. an die Tarifrunde der Länder gekoppelt bzw. es ist klar geregelt, wann im Zweifel neu verhandelt wird (§ 7 TV Stud III). Kollektives Betteln – Adieu! Schluss mit Mindestlohn, Schluss mit den Höchstgrenzen, die derzeit bundesweit für die Bezahlung von Hilfskräften existieren!

Nach § 9 TV Stud III erhalten Beschäftigte bei einer Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit für eine Dauer von zehn Wochen weiterhin ihr Entgelt und haben nach § 10 TV Stud III – bei einer Fünf-Tage-Woche – Anspruch auf 30 Tage Urlaub im Jahr. Für Sachsen-Anhalt gelten bisher nur die gesetzlichen Mindeststandards, also: sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und 24 Tage Urlaub bei einer Sechs-Tage-Woche. Daneben gibt es eine weitere Besonderheit: „Die studentischen Beschäftigten werden für ihre Hochschulprüfungen oder Staatsprüfungen für die Dauer der unumgänglich notwendigen Abwesenheit unter Fortzahlung des Entgelts (§ 7) von der Arbeit freigestellt. Zur Vorbereitung auf die Prüfung kann kurzfristige Arbeitsbefreiung unter Verzicht auf das Entgelt gemäß Absatz 4 Satz 2 gewährt werden“ (§ 11 Abs. 5 S. 1 u. 2 TV Stud III). Wenn das keine Verbesserungen zu den aktuellen Arbeitsbedingungen sind?!

Minister Willingmann zeigte sich letztlich offen gegenüber einer tariflichen Regelung, Herr Richter ließ sich hingegen auf keine Positionierung ein, die er innerhalb der TdL vertreten würde. Das, obwohl Richard mehrfach hartnäckig darauf hinwies, dass doch folgende Zielsetzung im Koalitionsvertrag Sachsen-Anhalts zu finden sei: „Wir stärken die soziale Marktwirtschaft mit fairem Wettbewerb, Eigenverantwortung und sozialem Ausgleich. Wir verstehen darunter auch ausdrücklich starke Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen. Wir wollen die Tarifbindung stärken und Anreize für attraktive Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt schaffen“ (S. 79). Auf die Forderung, die größte Tariflücke im öffentlichen Dienst zu schließen, wurde folglich eher ausweichend reagiert.

Rektor Strackeljan sieht ebenfalls nicht, was gegen eine Tarifierung sprechen würde und war außerdem schockiert über ein zentrales Fazit der Studie: „Die Nichteinhaltung von Arbeitnehmer*innenrechten stellt den Regelfall dar“ (S. 122). Nachdem er diese Aussage zunächst einmal stark bezweifelte, zeigte er sich doch einsichtig und bereit diesen Hinweis mitzunehmen und einen Blick in die Studie zu werfen. Spoiler: Laut eigener Aussage gegenüber einer TV Stud-Aktiven hatte er sie am nächsten Tag wohl ausgedruckt in seiner Tasche dabei.

Tina berichtete im Anschluss, dass sie in ihrer Fakultät tatsächlich selbst auf die Einhaltung der Rechte der studentischen Beschäftigten achten müssten, dass das aber nicht über die Personalabteilung abgesichert werde. Sie könne bestätigen, dass keine ausreichende Aufklärung über Arbeitnehmer*innenrechte stattfindet. Aber auch beim Mittelbau sehe es nicht besser aus. In Anbetracht der unfreiwilligen Teilzeitverträge und der unbezahlten Mehrstunden, sei hier der Reallohn ebenfalls sehr niedrig. Der Frust sei groß, Arbeitstage bis spät abends die Regel und „mentale Abgrenzung“ möglicherweise eine Folge der ernüchternden Diskussionen um eine Reform des WissZeitVG. Eins sei aus ihrer Sicht klar: „Ohne zu kämpfen wird es nicht gehen“. Lasst uns deshalb alle gemeinsam am 5.12.23 zum nächsten Streiktag auf die Straße gehen!

Hinweis: Die Seitenangaben im Text beziehen sich auf die Printversion der Studie „Jung. Akademisch. Prekär“.

 

Kontakt
Sofia Kohler
Gewerkschaftssekretärin für Hochschulpolitik (aktuell in Elternzeit)
Adresse Markgrafenstraße 6
39114 Magdeburg