Zum Inhalt springen

Zum bildungspolitischen Dialog in der Staatskanzlei am 19.01.2023

Positionspapier der Vertreterinnen und Vertreter der Lehrkräfte

Dieses gemeinsame Positionspapier einiger Gewerkschaften und Verbände enthält Lösungsvorschläge, um den Lehrkräftemangel in Sachsen-Anhalt zu entgegnen. Dieses Papier wurde im Vorfeld abgestimmt und durfte auf dem „Bildungsgipfel“ nicht verteilt werden.

Die Sicherung der Unterrichtsversorgung in Sachsen-Anhalt ist eine notwendige Bedingung für die Schulentwicklung und bildet daher die drängendste Herausforderung für alle Akteurinnen und Akteure im Bildungswesen des Landes. Ohne eine auskömmliche Zahl von Lehrerinnen und Lehrern vor den Klassen sind alle anderen Vorhaben, welche die Schulen für Anforderungen der Zeit fit machen und damit den Schülerinnen und Schülern einen gelungenen Start in eine erfolgreiche Bildungs- und Berufsbiografie ermöglichen soll, zum Scheitern verurteilt.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Lehrkräfte aller Schulformen des Landes aus den verschiedensten Berufsverbänden wollen beim bildungspolitischen Dialog nicht die Versäumnisse der Vergangenheit aufarbeiten, sondern mit realistischem Blick auf die Gegenwart Schritte zu einer zukünftig besseren Unterrichtsversorgung aufzeigen. Auf dieser Basis sehen sie in den folgenden Punkten Möglichkeiten, die Unterrichtsversorgung zu stabilisieren und mittelfristig zu verbessern.
 

1. Ausbildungskapazitäten und Studienorte

Zurzeit können nur ca. 50 Prozent der ausgeschriebenen Lehrerstellen des Landes mit grundständig ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern besetzt werden. Daher müssen alle Möglichkeiten geprüft werden, mehr junge Menschen für ein Lehramtsstudium zu motivieren und erfolgreich zum Abschluss zu führen. Neben der Senkung der Studienabbrecherquote durch die Schaffung entsprechender Ausstattungsbedingungen in beiden Universitäten sollten auch an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg die Lehramtsstudiengänge in weiteren Fächern der allgemeinbildenden Schulformen (Grundschule, Sekundarschule, Gymnasium) angeboten und das Angebot an beruflichen Fachrichtungen und Unterrichtsfächern an berufsbildenden Schulen erweitert werden. Da Lehramtsstudierende oftmals regional verwurzelt sind, kann insbesondere für den Norden des Landes die Zahl an Interessenten erhöht und die Abwanderung an lehrerbildende Hochschulen in Niedersachsen verringert werden.

Ein Numerus clausus in einzelnen Lehramtsstudiengängen ist in der momentanen Situation nicht mehr angebracht, jede und jeder mit Interesse an dem Beruf und einer Hochschulzugangsberechtigung sollte ein entsprechendes Studium beginnen können. Weiterhin sollten mehr lehramtsspezifische Lehrangebote in der fachwissenschaftlichen Ausbildung angestrebt werden. Ein Lehramtsstudium hat einen anderen Schwerpunkt als ein Fachstudium. Um mehr Studierende für das Lehramt an Sekundarschulen zu gewinnen, sollten landesspezifische Anreize geschaffen werden.  Studierende sollten verbindliche Angebote für eine spätere Tätigkeit im Land schon im Lehramtsstudium erhalten. Eine intensive Kooperation mit Landkreisen, Städten und Gemeinden für die Gewinnung neuer Lehrkräfte durch spezielle Ausschreibungs- und Besetzungsverfahren, eine allgemeine Erhöhung der Ausbildungsvergütung für die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst und Zahlung von Zulagen für eine Ausbildung in Regionen und Schulen mit besonderem Mangel können insbesondere für unterversorgte Regionen eine Perspektive eröffnen.
 

2. Unterstützung von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern

An vielen Schulen stellen die Lehrkräfte ohne Lehramtsabschluss inzwischen die Mehrheit der Neueinstellungen. Über die bereits vorhandenen Unterstützungssysteme des LISA hinaus bedarf es einer strukturierten Unterstützung, um diesen Personen einen erfolgreichen Einstieg in den Schuldienst zu ermöglichen. Dazu sollte die Zahl der zu unterrichtenden Stunden in den ersten sechs Monaten maximal 60 Prozent der Unterrichtsverpflichtung einer Lehrkraft betragen und anschließend schrittweise aufwachsen sowie mit Hospitations- und Reflexionsmöglichkeiten flankiert werden. Um Seiteneinsteigende nicht zu überfordern, muss der fachfremde Einsatz in den ersten Jahren vermieden und später nur in Absprache mit der Person umgesetzt werden.

Die Fort- und Weiterbildungsangebote sind so auszubauen, dass möglichst alle Seiteneinsteigende in einem überschaubaren Zeitraum die Möglichkeit erhalten, das Qualifikationsniveau einer Lehrkraft zu erreichen und nach entsprechenden Eignungsfeststellungen die besoldungs- und statusrechtliche Gleichstellung mit diesen erlangen können. Um einen schnellen Einstieg in den Schuldienst zu gewährleisten, bedarf es einer deutlichen Beschleunigung und Entbürokratisierung der Verfahren zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse sowie zur Genehmigung und Fachanerkennung von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern. Auf jeden Fall sollte geprüft werden, auch für Seiteneinsteigende mit einem anerkannten Fach den Vorbereitungsdienst zu öffnen. Weiterhin sollte die Möglichkeit bestehen, eine Fächeranerkennung auch über eine mehrjährige Lehrtätigkeit und entsprechende Fortbildungen zu erreichen, so wie das auch in anderen Bundesländern praktiziert wird.

Schulfunktionsstellen sollten auch für Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger mit mehrjähriger Unterrichtserfahrung geöffnet werden, um diesem größer werdenden Personenkreis Entwicklungsperspektiven im Schuldienst bieten zu können.
 

3. Unterstützungssysteme für Schulen

Punktuell stellen Unterstützungen durch multiprofessionelle Teams an den Schulen sicher, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer auf das Kerngeschäft ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages, den Unterricht, konzentrieren können. Schulverwaltungsassistenz, Schulsozialarbeit, Digitalassistenz, Netzwerkadministration, pädagogische Mitarbeit sind einige Aufgaben, welche durch entsprechend qualifizierte Besetzungen dazu beitragen können, dass administrative und pädagogische Tätigkeiten außerhalb des Unterrichtes für Lehrkräfte und damit deren Belastungen reduziert werden können. Dieses Unterstützungssystem muss an allen Schulen etabliert werden.

Um die durch jahrelang anhaltenden Unterrichtsausfall entstandenen Defizite auszugleichen, empfehlen wir die Organisation eines pädagogisch angeleiteten berufspraktischen Unterrichtes durch qualifizierte Träger der beruflichen Erwachsenenbildung bzw. durch Berufsbildende Schulen (ein Tag je Unterrichtswoche mindestens in den Schuljahrgängen 8 und 9 im Klassenverband für mehrere verschiedene Berufsfelder) in allen Schulen der Sekundarstufe I und die Öffnung der Schulen für ergänzende Unterrichtsangebote u. a. durch anerkannte Träger der Erwachsenenbildung auch in originären Fächern der Stundentafel und die institutionelle Förderung von außerschulischen Bildungsorten.
 

4. Besoldung

Der Lehrerarbeitsmarkt ist seit Jahren ein Bewerbermarkt. Die Zahl der ausgeschriebenen Stellen übersteigt die Zahl der zur Verfügung stehenden Bewerberinnen und Bewerber maßgeblich. Damit können sich die Interessentinnen und Interessenten ihre Stellen aussuchen, woran sich mittelfristig auch nichts ändern dürfte. Da eine deutschlandweit einheitliche Besoldung für Lehrkräfte nicht zu erwarten ist, muss sich Sachsen-Anhalt attraktiv aufstellen, um insbesondere in grenznahen Regionen einer Abwanderung in Nachbarbundesländer entgegenzuwirken. Dies bedeutet für Grundschullehrkräfte eine Eingruppierung in die Besoldungs-/Entgeltgruppe A 13/E 13.

Weiterhin sind für engagierte Lehrerinnen und Lehrer Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Damit sollten – wie in anderen Bundesländern auch – ein fester Prozentsatz der Lehrerstellen einer Schule als Beförderungsstellen vorgesehen werden. Zusammenfassend wäre zu sagen, dass die finanziellen Mittel, die durch die Nichtbesetzung von Lehrkräftestellen derzeit nicht ausgegeben werden können, weiterhin für die Schulen zur Verfügung stehen müssen und nicht anderweitig ausgegeben werden dürfen. Dabei sind die 14.500 Vollzeitäquivalente (VZÄ) für die Allgemeinbildung und 1.900 VZÄ für die Berufsbildenden Schulen zugrunde zu legen.
 

Die Unterzeichner:

  • Jörg Riemer, Landesvorsitzender Berufsschullehrerverband Sachsen-Anhalt (BlVsA),
  • Eva Gerth, Landesvorsitzende Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Sachsen-Anhalt,
  • Thekla Mayerhofer, Landesvorsitzende Grundschulverband Sachsen-Anhalt,
  • Kerstin Hinz, Vorsitzende Lehrerhauptpersonalrat beim Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt,
  • Hermann Weinert, stv. Landesvorsitzender Philologenverband Sachsen-Anhalt e. V.,
  • Torsten Wahl, Landesvorsitzender Verband Bildung und Erziehung (VBe) Landesverband Sachsen-Anhalt,
  • Jörgen Banse, Geschäftsführer Verband Deutscher Privatschulen Sachsen-Anhalt e. V., und
  • Andreas Slowig, Landesvorsitzender Vereinigung der Schulleiter an Gymnasien in Sachsen-Anhalt

 

Kontakt
Eva Gerth
Landesvorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt
Adresse Markgrafenstraße 6
39114 Magdeburg
Telefon:  0391 735 54 30