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GEW-Mitglieder im Fokus

Robert Rietschel: „Tun, was richtig und nötig ist“

Robert Rietschel ist seit Herbst 2022 GEW-Chef im Bördekreis und damit im drittgrößten Kreisverband Sachsen-Anhalts. Mit dem kämpferischen Zug eines aktiven Sportlers engagiert er sich gegen falsche Weichenstellungen in der Politik – und für agileres Zusammenarbeiten an der Basis.

Foto: Andreas Löffler

Eigentlich hatten wir uns mit Robert Rietschel in Magdeburg verabredet, wo der 40-Jährige an zwei Tagen der Woche für den Bezirkspersonalrat am Landesschulamt tätig ist. Doch kurzfristig hatte Rietschel um die Verlegung des Termins nach Wolmirstedt gebeten. An der dortigen Gemeinschaftsschule „Johannes Gutenberg“, an der er seit acht Jahren arbeite, gebe es am Nachmittag ein Volleyball-Turnier mit Schülern und Lehrern, bei dem er unbedingt dabei sein wolle. „Ich verpasse ja ohnehin schon manche solcher Aktivitäten, da ich wegen meiner Zweitfunktion in Magdeburg lediglich an drei Tagen in Wolmirstedt unterrichte“, warb der Lehrer für Technik, Geschichte um Sozialkunde um unser Verständnis.

Für sich genommen nicht mehr als eine kleine Randepisode –dennoch sind darin gleich mehrere Aspekte enthalten, die auch Robert Rietschels Engagement in der GEW kennzeichnen. Als Erstes: Der Gardemaß und die Figur eines Athleten aufweisende junge Mann ist in höchstem Maße sportaffin: Früher hat er bei den Magdeburg Orcas respektive Magdeburg Virgin Guards American Football gespielt. Heute tummelt er sich – als Abteilungsleiter, Trainer und nicht zuletzt als selbst Aktiver – bei den Judoka des USC Magdeburg – was ihm wohl per se einen kämpferischen Zug verleiht. Zweitens: Rietschel ist ein leidenschaftlicher Pädagoge, für den die Lehrer-Schüler-Beziehung mitnichten an der Türschwelle des Klassenzimmers endet. Sein Erleben, dass die Umstände des immer dichter getakteten Lehrer-Alltags den Aufbau nachhaltig guter Beziehungen zu den Schülern hemmen, erschweren, wenn nicht sogar verhindern (so dass mitunter nicht mal mehr Zeit für die schlichte Frage „Wie geht es dir?“ zu sein scheint): Es ist wohl Hauptquell und -motivation auch seines gewerkschaftlichen Engagements. „Einst als Politikstudent und heute als Sozialkundelehrer – seit ehedem rücke ich den partizipatorischen Ansatz in den Blickpunkt: Die Dinge gehen uns alle an – ich bin da, ich zeige mich, ich stehe für meine Meinung ein“, sagt der aus dem Spreewald stammende Mann mit Nachdruck. „Also habe ich auch auf meinem eigenen Berufsfeld, der Bildung, das ganz starke Bedürfnis, an der Qualität zu drehen. Und diesbezüglich Verbesserungen zu erreichen, ist nach meinem Dafürhalten ganz stark mit der Belastung der Lehrer verknüpft.“ Womit unser Gespräch beinahe zwangsläufig bei der unlängst von Sachsen-Anhalts Landesregierung beschlossenen „Vorgriffsstunde“ landet: „In jeder Hinsicht absolut kontraproduktiv“, presst Robert Rietschel, spürbar emotional werdend, bloß hervor. Neben der „an sich bereits absurden Arbeitszeitverlagerung aus der Zukunft in die Gegenwart“ hält er das damit einhergehende „Signal nach außen für ganz besonders schlimm“.

So nachvollziehbar er es findet, dass ein Lehrer nun womöglich sagt: „Okay, ich habe in Halle studiert – aber kann ja auch locker in den Großraum Leipzig nach Sachsen pendeln.“, so unverständlich findet Rietschel das Agieren der Landesregierung. „Da steht Parteipolitik ganz oft dem Sinnvollen und Richtigen sowie langfristig Nachhaltigem entgegen“, sagt der Vater einer zwölfjährigen Tochter und erlaubt sich dabei auch einen Blick auf seine eigene Wirkungsstätte: „Obwohl unserer Gemeinschaftsschule für ihre innovativen Konzepte und deren gelungene Umsetzung sogar schon der Deutsche Schulpreis zuerkannt wurde, bleibt es bei meinem Empfinden, dass diese Schulform politisch nicht gewollt ist. Das mache ich beispielsweise daran fest, wie sehr unser seit 2019 bestehender Abiturzweig trotz durchweg vorhandener gymnasialer Lehrbefähigung der Kollegen beargwöhnt und fast schon überschießend kontrolliert wird oder auch daran, wie wenig sich bei der schon ewig angemahnten Sanierung unseres Oberstufengebäudes bewegt. Liegt doch auf der Hand, dass auch ein solcher Faktor die Entscheidung von Eltern und Schülern für oder gegen unsere Bildungseinrichtung beeinflusst.“

Auch wenn er als verbeamteter Lehrer nicht streiken darf, unterstützt Rietschel, der sich „zuallererst dem Land, nicht der Landesregierung verpflichtet“ sieht, quasi indirekt die Protestaktionen. „Ich verteile im Vorfeld die Informationen an die Eltern – eine durchaus unangenehme Arbeit, da man rasch als ,Blitzableiter‘ herhalten muss.“ Zu tun, was richtig und nötig ist, und den glanzvollen persönlichen Erfolg hintenanzustellen – das ist eine Haltung, die Robert Rietschel auch als im Herbst 2022 neugewählter Chef der GEW im Bördekreis an den Tag legt. Die Fußstapfen, die sein Vorgänger Volker Thiele in dem nach Halle und Magdeburg drittgrößten GEW-Kreisverband Sachsen-Anhalts hinterlassen habe, seien riesig. Und auch wenn er angesichts vieler Mitstreiter im Ü60-Alter da gewiss ein dickes Brett bohren müsse und nicht unbedingt mit dem Popularitätspreis rechnen könne, will Rietschel die Zusammenarbeit an der Basis anders, agiler und – jetzt kommt das „Alarmwort“! – digitaler organisieren. „Das Versenden von Einladungen und Informationen wie auch das Weiterleiten von Unterlagen für Diskussion und Beschlussfassung analog auf Papier ist einfach nicht mehr zeitgemäß, weil viel zu langwierig und zudem wenig ressourcenschonend“, nennt Rietschel seine Überlegungen. Zudem stelle sich für ihn die Frage, ob wirklich jede GEW-Zusammenkunft in Präsenz erfolgen müsse. „Angesichts meines eh prallvollen Terminkalenders bemerke ich doch selbst, wie ich viele ,analoge‘ Treffen wegen der ja immer noch obendrauf zu rechnenden An- und Abreisedauer zeitlich einfach nicht mehr hinbekomme“, gibt er zu bedenken. Womit wir wieder ganz am Anfang sind: Bloß gut, dass sich unser Gespräch von Angesicht zu Angesicht statt in Magdeburg genauso gut in Wolmirstedt durchführen ließ…