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GEW-Mitglieder im Fokus

Sabine Karge: „Das habe ich von meiner Mutter: Mir nichts gefallen zu lassen“

Sabine Karge lässt ihren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn auch in ihr ehrenamtliches Engagement bei der GEW einfließen. Seit fast 30 Jahren ist sie „Finanzministerin“ im Stadtvorstand Halle.

Sabine Karge, Schatzmeisterin beim GEW-Stadtverband Halle (Foto: Andreas Löffner)

„Mein Elternhaus war sehr prägend – sowohl was meinen Berufswunsch als auch meinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn angeht“, blickt Sabine Karge auf ihre Kindheit und Jugend in Waldsieversdorf in der Märkischen Schweiz östlich von Berlin zurück. „Mein Vater war schwer körperbehindert, was in mir den Wunsch weckte, beruflich mal mit ähnlich gehandicapten Heranwachsenden arbeiten zu wollen. Als ich aber mitbekam, wie an meiner Schule Kinder von einzelnen Lehrern herabgewürdigt und schikaniert wurden, bloß, weil sie aus einem – wie man heute sagen würde – schwierigen sozialen Umfeld kamen, hat mich das motiviert, mich für diese einzusetzen“, sagt die heute 70-Jährige. Sabine Karge erstritt sich regelrecht nach einem vierjährigen Studium zur Lehrerin für untere Klassen am damaligen Institut für Lehrerbildung Neuzelle und einem zwischenzeitlichen Einsatz als Pionierleiterin und Heimerzieherin ihre Arbeitsstelle an einer Hilfsschule, so der Begriff seinerzeit – unter der Ankündigung, anderenfalls den Job zu quittieren. „Das habe ich von meiner Mutter: Mir nichts gefallen zu lassen“, sagt Sabine Karge. In ihrer Wunschtätigkeit ging sie sehr auf: „Die Kinder sind ja wissbegierig – wenn man sich ihnen vorbehaltlos näherte, entstanden da sehr enge Bindungen“, berichtet sie über diese Zeit.

1978 wurde sie zu einem zweijährigen Aufbaustudium delegiert, wobei sie Halle – „weil man sich dort mehr an den Praktiker richtete“ – als Studienort dem diesbezüglich als eher theorielastig geltenden Berlin vorzog. Insofern ist es eine feine Ironie der Geschichte, dass Sabine Karge nach dem Abschluss ihrer Weiterbildung im Wissenschaftsbetrieb, konkret: am Institut für Rehabilitationspädagogik blieb. „Ich war auf den Geschmack gekommen, wollte rauskriegen und erforschen, warum bestimmte Dinge so sind. Nur wenn ich, nach meiner Promotion dem akademischen Mittelbau angehörend, unsere Studierenden in der Berufspraxis begleitet habe und sah, wie deren Schützlinge das ihnen vermittelte Wissen aufsaugten, gab es noch Anflüge von Sehnsucht.“

An ihrem neuen Wohn- und Arbeitsort Halle erlebte Sabine Karge, die beim Blick auf ihre inzwischen 50 Jahre gewerkschaftliche Tätigkeit die Zeit im FDGB der DDR durchaus mitzählt, ihre „Feuertaufe“ als Gewerkschafterin, die sich plötzlich in „echten“ Arbeitskämpfen und die eigene berufliche Existenz bedrohenden Auseinandersetzungen wiederfand. „Nach 1990, als wir uns gegen Kürzungs- und Schließungspläne zur Wehr setzten und dabei zumindest Teilerfolge erzielten, habe ich erstmals so richtig die Bedeutung von Gewerkschaften ermessen können“, sagt Sabine Karge, die auch von Prof. Heinz-Hermann Krüger, einem aus dem Westen gekommenen Erziehungswissenschaftler und Alt-68er, zum Engagement in der GEW ermuntert wurde. „Die GEW hat mich dann auch in meinem eigenen Arbeitsrechtsprozess, als ich Klage gegen meine einer negativen Evaluierung folgenden Kündigung führte, sehr unterstützt, indem sie mir einen erfahrenen Anwalt, der sich bereits in politisch motivierten Berufsverbotsprozessen in Westdeutschland bewährt hatte, zur Seite stellte.“ Nach anderthalbjähriger juristischer Auseinandersetzung konnte sie in ihr angestammtes Beschäftigungsverhältnis an der Uni zurückkehren und wirkte dort bis zu ihrem Ruhestandseintritt im Jahr 2020, den sie, um das Matrikel noch zum Abschluss zu bringen, um acht Monate „nach hinten“ verschob.

Sowohl da als auch jetzt als Pensionärin sei sie immer gewerkschaftlich aktiv gewesen. „Ein Professor aus Bayern hat einmal den schönen Satz geprägt: Gehen Sie zu Frau Karge oder zum Rechtsanwalt“, erinnert sie sich lebhaft an eine Wertschätzung aus unvermuteter Richtung. „Ich war gewissermaßen die, Frau GEW‘ an unserem Institut, habe auch stets für eine Mitgliedschaft geworben. Dass gleich drei heutige Vorstandsmitglieder im GEW-Stadtverband Halle einstige Studierende von mir sind, erfüllt mich mit Stolz“, betont die Gewerkschafterin, die selbst seit nun bald 30 Jahren als Schatzmeisterin im Stadtvorstand fungiert. „Ich war gefragt worden, wie gut ich in Mathe sei. Als ich darauf verwies, dass ich als Tochter einer Fleischerfamilie schon wegen der blitzschnellen Preisberechnung beim Abwiegen von Ware ganz gut im Kopfrechnen sei, war der Weg in diese Funktion fast schon vorgezeichnet“, gibt sie eine Anekdote zum Besten.

Auch wenn sie ihre ehrenamtliche Arbeit angesichts der eingetretenen Verjüngung in dem Führungsgremium gegenwärtig als nochmals beglückender empfinde, werde sie mit Ablauf der aktuellen Wahlperiode in zwei Jahren aufhören, freilich gern Nachfolger oder Nachfolgerin in die Tätigkeit einarbeiten.

Auch als „Finanzministerin“ im GEW-Stadtvorstand sei sie ein kritischer Geist geblieben, hinterfrage bestimmte Ausgaben ganz genau – beispielsweise, ob es bei der Anschaffung der spätestens im Zusammenhang mit Corona unerlässlichen Übertragungstechnik für Videokonferenzen wirklich der allergrößte auf dem Markt erhältliche Bildschirm sein müsse. „Ich nehme das sehr ernst, dass mir die Beiträge unserer Mitglieder anvertraut sind.“

Was bis heute in ihr nachhallt, ist der Leitspruch ihrer Eltern: „Meckern, ohne was zu machen, geht nicht. Du darfst Dinge nur kritisieren, an deren Veränderung du auch mitzuarbeiten bereit bist“, sagt die Gewerkschafterin, die sich zudem früher im Paritätischen Wohlfahrtsverband und bei der Lebenshilfe engagierte und privat gern an der Ostsee ausspannt, abschließend.