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Strategiepapier "Bildung in der digitalen Welt"

Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit

GEW-Vorstandsmitglied Torsten Richter hat bei Sachsen-Anhalts Lehrkräften eine Zufriedenheitsumfrage über die Nutzung digitaler Endgeräte an den Schulen durchgeführt. Bisher fehlen für deren Nutzung Standards wie die Bandbreite oder die Ausstattung mit laufenden Betriebssystemen.

Das Strategiepapier der Kultusministerkonferenz (KMK) „Bildung in der digitalen Welt“ aus dem Dezember 2016 sollte die schon damals völlig veralteten Vorgaben für die Bildungslandschaft auf eine digitale Ebene heben und die Schulen an die Herausforderungen des digitalen Wandels in der Bildung heranführen und die damit einhergehenden Transformationsprozesse einleiten. Dann folgten Absichtserklärungen über Absichtserklärungen, was man alles vorantreiben will, so gab es viele Termine, zu denen alle Schulen über ausreichend schnelles Internet verfügen sollten, für Sachsen-Anhalt ist das bis heute noch keine Realität. In die Lehrpläne wurde an vielen Stellen in roter Schriftfarbe irgendwas mit digitalen Medien hinzugeschrieben und zu Beginn des letzten Schuljahres sollten alle Lehrkräfte ein digitales Endgerät erhalten haben. Inwiefern die Ausstattung der Lehrkräfte mit solchen Geräten sinnvoll gelungen ist, haben wir mit einer Kurzumfrage zu erfassen versucht. Eine erste Auswertung stellen wir hier vor.

Anmerkung: Wir hatten nicht die Absicht, eine wissenschaftlich fundierte Umfrage zu gestalten und haben auch weder in der Erfassung noch in der Auswertung der Daten entsprechende Standards berücksichtigt.
 

1. Teilnehmer*innen

Die Teilnehmer*innen unserer Umfrage stammen aus allen Schulformen. Dabei spiegelt das Alter der Teilnehmer*innen ungefähr die Altersverteilung an den Schulen ab. Insofern kann man davon ausgehen, dass die eingegangenen Aussagen recht dicht an der Realität der Schulen liegen.

2. Erhalt eines digitalen Endgerätes

Schon der Start war wenig erfolgversprechend: Zu Beginn des Schuljahres 2021/2022 verfügten zwei Drittel der Lehrkräfte über ihr digitales Endgerät, jede zehnte Lehrkraft gibt an, zum Zeitpunkt der Umfrage immer noch über kein Gerät zu verfügen. Die Gründe sind vielfältig, von fehlenden oder sich widersprechenden Anweisungen aus dem Landesschulamt bis hin zu fehlender Software, ohne die manche Schulleitungen nicht bereit sind, die Geräte auszugeben. Hin und wieder fehlen auch einzelne Geräte, weil diese nicht lieferbar sind oder waren. Berichtet wurde auch, dass Schulleitungen eigenmächtig eine Einschränkung der angebotenen Geräte vornahmen. Bemängelt wurden fehlende Informationen „von oben“, wann welche Geräte kommen und wie mit den Geräten zu verfahren sei. Hinzu kamen zu unterschreibende „Nutzungsbedingungen“, die eher für Verwirrung als für Klarheit sorgten.
 

Wir durften uns kein Apple-Gerät aussuchen. Vorauswahl wurde von höherer Stelle getroffen.

Für das iPad fehlt weiterhin die Tastatur sowie die Hülle, die ich mir nun privat gekauft habe, damit ich das Gerät auch einsetzen kann, ohne es beim Transport zu beschädigen.

3. Ausstattung der Geräte

In der Umfrage gab jede fünfte Lehrkraft an, dass sie ein Gerät ohne Betriebssystem erhalten hat. Dies kann damit zusammenhängen, dass in der Angebotsliste auch ein Gerät ohne Betriebssystem auftauchte und Lehrkräfte die damit verbundene Freiheit ausnutzen wollten. Allerdings erhebt sich die Frage, wie denn dann diese Geräte mit beliebigem Betriebssystem zentral administriert werden sollen, dies ist eine der vielen Fehlentscheidungen dieser Aktion. Auf 80 Prozent der Geräte fand man ein Betriebssystem vor. Um dieses zu aktualisieren, musste man allerdings online gehen, dies stellte, wie etwas später beschrieben, die nächste Hürde dar.

Ohne Programme ist ein solches Gerät nur wenig nutzbar, also haben wir gefragt, ob ein beliebiges Office-Paket installiert war. Neun von zehn Lehrkräften haben das verneint. Bei diesen Lehrkräften geht das Bildungsministerium davon aus, dass Lehrkräfte für ihr Dienstgerät selbst ein Office-Paket kaufen.
 

Ich bin sehr zufrieden und dankbar mit dem PC. Office Lizenz wäre schön gewesen, wurde privat angeschafft.

Ich finde es deprimierend, dass ich nicht einmal ein Office-Paket zur Verfügung habe, zumal der Laptop sehr klein ist. Ich schreibe also die Zeugnisse auf meinem privaten Computer mit Office. Wenn ich dann die Datei in den Schullaptop übertragen möchte, wird mir gesagt, dass dieser kein Office-Programm hat und die Datei nicht geöffnet werden kann. Warum werden einem solche Steine in den Weg gelegt? Es ist nicht zu fassen!

 

4. Anbindung der Geräte

Ein Drittel der befragten Lehrkräfte kann ihr dienstliches Endgerät nicht mit dem (W)LAN der Schule koppeln, sei es, weil kein WLAN vorhanden ist, weil die Schulträger sich weigern, die Geräte einzubinden, oder aus anderen Gründen. Damit wird das Gerät für die „Bildung in der digitalen Welt“ ziemlich nutzlos. Die Tatsache, dass ein Zehntel der Lehrkräfte den Rechner nicht mit dem privaten Netzwerk zuhause verbinden können, mag der Sorge um dienstliche Netze geschuldet sein, ist aber lebensfremd und zum Sinn der Dienstgeräte kontraproduktiv.

Eher zu verschmerzen wäre die Tatsache, dass nur jede fünfte Lehrkraft das Dienstgerät mit einem Drucker der Schule koppeln kann, bei mehr als zwei Dritteln klappt das nicht zuhause. Der Sinn erschließt sich in keinem Falle. Es dürfte klar sein, dass Lehrkräfte, die ihren Rechner weder ins Netz bringen noch damit drucken können, diesen in einer Ecke zuhause ungenutzt liegen lassen.

Ich bin Schulleiter und muss mich regelmäßig der Frage meiner Lehrkräfte nach einem Office-Paket stellen. So bleiben die Geräte unbenutzt, weil alles, was mit digitaler schulischer Zusammenarbeit erfolgt, ein standardisiertes Office-Paket voraussetzt. Somit werden die Geräte nicht gemäß ihrer Möglichkeiten eingesetzt.
Es ist gefühlt ein Jahrzehnt her, dass wir uns in groß angelegten Veranstaltungen angeschaut haben, was alles Tolles geht. Wir schauten uns interaktive Tafeln an, digitale Klassenräume und träumten schon vom großen Wandel in der Schule. Es ist ein Traum geblieben.
Ich sehe das Bildungsministerium in der Verantwortung, endlich verbindliche Standards für schulische Ausstattung zu definieren und diese auch zu finanzieren. Diese Kleckerei durch den finanzschwachen kommunalen Schulträger ist in dieser schnelllebigen Zeit einfach nicht mehr zu akzeptieren. Und weil das alles nicht kommt, ist immer wieder die Schulleitung in der Pflicht, Lösungen zu suchen und Wege zu finden. Das geht nicht mehr und ist ernüchternd.

5. Administration der Geräte

Lehrkräfte sind Personen, bei denen die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Rahmen eines Schulbetriebes der Tätigkeit das Gepräge gibt – so definiert es der Tarifvertrag der Länder. Kaum jemand käme auf die Idee, dass die Administration eines Rechners zu den Aufgaben einer Lehrkraft gehören soll. In der Praxis ist es umgekehrt: Kaum eine Lehrkraft muss sich darum nicht kümmern. Neun von zehn Lehrkräften müssen sich um die Administration (Betriebssystem aktualisieren, Optionen einstellen, Virenschutz aufspielen und aktualisieren, Programme aktualisieren, auf Fehlermeldungen adäquat reagieren, usw.) selber kümmern. Dies soll neben allen anderen Aufgaben erfolgen, ob die nötigen Kompetenzen vorhanden sind, ist egal.

Es ist unfassbar, dass wir alle Installationen und Software selbst übernehmen müssen. Ich muss mich mit meinem persönlichen Microsoft-Kennwort anmelden, niemand fühlt sich verantwortlich. Der Schulleiter schiebt jegliche Verantwortung von sich. Die Administration muss dringend zentral organisiert werden – siehe Sachsen!

Ich war sehr enttäuscht, dass sich niemand für mein Problem verantwortlich fühlte.

 

6. Internetanbindung der Schulen

Wir haben erfragt, ob die Schulen inzwischen mit ausreichend schnellem Internet versorgt sind. Unter den Teilnehmer*innen dieser Umfrage gaben fast zwei Drittel der Lehrkräfte an, dass an ihrer Schule kein hinreichend schneller Internetanschluss verfügbar ist. Dies ist im Jahr 2022 inakzeptabel und enttäuschend.

 

7. Nutzungshäufigkeit der Dienstgeräte

Aufgrund der erfassten Daten waren die Ergebnisse dieser Frage vorhersehbar. Sechs von zehn Lehrkräften nutzen innerhalb eines Monats ihr digitales Endgerät manchmal oder nie. Die Ursachen hierfür können vielfältig sein, eine ist mit Sicherheit die teils völlig fehlenden Rahmenbedingungen, wie diese Umfrage aufweist. Respekt muss man dem Viertel der Lehrkräfte zollen, die ihr Gerät fast jeden Tag und damit sehr häufig verwenden, diese investieren immens viel Geld und Zeit, um eine Normalität zu erreichen, für die eigentlich das Land Sachsen-Anhalt die Rahmenbedingungen schaffen müsste.

Ich bin sehr zufrieden mit meinem iPad und nutze es täglich im Unterricht.

Ich kann mein Endgerät noch gar nicht nutzen, weder in der Schule noch zu Hause.

 

8. Fazit

Die Ergebnisse dieser keineswegs repräsentativen Kurzumfrage waren genauso enttäuschend wie erwartbar. Es besteht offenbar kein Interesse des Bildungsministeriums, Bedingungen zu schaffen, die eine sinnvolle Arbeit mit digitalen Endgeräten in einem vernünftigen Rahmen ermöglichen. „Bildung in der digitalen Welt“ findet für das Bildungsministerium nur auf dem Papier statt, der Blick in die Realität scheint ministerial verdeckt. Lehrkräfte und Schulen finden auch keinen Ansprechpartner für ihre Probleme, sie werden schlicht völlig allein gelassen. Das Bildungsministerium hat es völlig versäumt, die an sich sinnvolle Aktion der Bereitstellung von dienstlichen Endgeräten so zu begleiten, dass durch sinnvolle Rahmenbedingungen die Nutzung der Geräte vor Ort erfolgreich möglich ist. „Bildung in der digitalen Welt“ ist in Sachsen-Anhalt keine Strategie der KMK, sondern der Titel einer dringend für die Verantwortlichen im Bildungsministerium erforderlichen Fort- und Weiterbildungsreihe.

Kontakt
Torsten Richter
Vorstandsmitglied für Information & Kommunikation