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Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK

Soll die Lehrer*innenbildung auf den Prüfstand?

In den letzten Wochen und Monaten stand die Lehrer*innenbildung im Zentrum vielzähliger Gutachten und Studien. Neben der GEW, die seit Jahren auf eine Reformierung drängt, veröffentlichten der Wissenschaftsrat, der Stifterverband, die Hochschulrektorenkonferenz, die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, die Initiative „Bildungsrat von unten!“, ein ehemaliger Schulsenator aus Berlin und natürlich die Kultusministerkonferenz (KMK) mit ihrem Gremium der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) Empfehlungen zur Lehrer*innenbildung. Im Wesentlichen sind sich alle einig: Der drastische Lehrkräftemangel, sich verschlechternde Schulleistungen und ständig wachsende gesellschaftliche Herausforderungen erzwingen geradezu eine Reform der Lehrer*innenbildung in all ihren Phasen.

Zwar ist der Lehrkräftemangel schon seit Jahren ein bundesweites Problem, jedoch erhöhten gerade die neuesten PISA-Ergebnisse und der sich verschärfende Lehrkräftemangel bei gleichzeitigem Sinken am Interesse des Lehrer*innenberufs den politischen Handlungsdruck, dem sich auch die KMK nicht entziehen konnte und wollte. Nun ist seit Dezember 2023 mit dem Gutachten „Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht“ der SWK und den darin enthaltenen elf Empfehlungen die Grundlage für eine politische Entscheidung der Kultusminister*innen der Bundesländer geschaffen – und die Erwartungen sind hoch. Denn das Gutachten nimmt wesentliche Versäumnisse der föderalen Bildungspolitik in den Blick. So fordern die Wissenschaftler*innen in den ersten drei Empfehlungen Daten endlich umfassend und transparent zu erheben und sie darüber hinaus länderübergreifend einheitlich zu modellieren, damit durch realistische Prognosen zum Lehrkräftebedarf und -angebot in Zukunft eine adäquate Versorgung der Schulen mit Lehrkräften sichern können.

Doch auch das Studium selbst wird in den Blick genommen und Empfehlungen zur Studierendengewinnung, zum Ausbau von Kapazitäten in Mangelfächern, zur Studierbarkeit und zur phasenübergreifenden Kooperation ausgesprochen. Dies alles sind letztlich keine neuen Vorschläge und wurden so oder ähnlich schon häufig in den letzten Jahren formuliert. Spannend sind die Vorschläge und Empfehlungen der SWK zur Gestaltung der Lehramtsstudiengänge selbst und zur Fort- und Weiterbildung. Denn hier verbergen sich weitreichende Modifikationen, sei es die wissenschaftsbasierte, phasenübergreifende und kumulative Gestaltung des Lehramtsstudiums, welches zugleich mit der Phase des Referendariats zusammengedacht wird, oder die Empfehlung, systematisch Masterstudiengänge zu implementieren, die einen Quereinstieg in die Schulen ermöglichen und alle bisherigen Seiteneinstiegs- bzw. Quereinstiegsprogramme der Länder ersetzen sollen. Duale Studiengänge, wie sie schon in einigen Ländern modellhaft umgesetzt bzw. in Sachsen-Anhalt für das kommende Wintersemester an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg als praxisintegrierter Masterstudiengang in Planung sind, lehnt die SWK im Unterschied zum Wissenschaftsrat dagegen explizit ab. Weder ließe sich empirisch nachweisen, dass dadurch die Lehrkräftebildung verbessert oder für Interessierte attraktiver werde, noch zeigen die bisherigen Erfahrungen aus dem dualen Studium vor allem der Schweiz, dass die hohen Erwartungen, was Theorie-Praxis-Verknüpfungen oder Kompetenzzuwächse betrifft, in dem Maße erfüllt werden könnten.

Nun sind wissenschaftliche Expertisen und Empfehlungen noch keine politischen Entscheidungen und bekanntermaßen neigen die KMK und das föderale Bildungssystem in Deutschland nicht gerade zu revolutionären und vor allem schnellen Reformen. Doch gerade in Sachsen-Anhalt, das in Bezug auf den Lehrkräftemangel eine negative Spitzenposition in Deutschland belegt und nach Aussage des letzten fortgeschriebenen Expertenberichts bis zum Jahr 2035 von einem (konservativ berechnetem) Einstellungsbedarf von 9.060 Lehrkräften spricht, ist der Handlungsdruck immens. Vor allem die Sekundar- und Förderschulen leiden massiv unter dem fehlenden Personal und gerade für diese Schulformen lassen sich immer weniger junge Menschen begeistern. Wie dramatisch die Lage derzeit ist, kann man auch an den Bewerber*innenzahlen ablesen. Bei der letzten Ausschreibungsrunde im März meldeten sich von insgesamt 544 Bewerber*innen nur 198 grundständig ausgebildete Lehrer*innen. Die Mehrzahl der Bewerbungen gingen mit 346 von Lehrkräften im Seiteneinstieg ein und für 256 ausgeschriebene Stellen gab es gar keine Bewerbungen.

Vor diesem Hintergrund wurden die Einlassungen der KMK zum Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission und ihr Beschluss, mit welchen Maßnahmen die Kultusminister*innen den Lehrkräftemangel bekämpfen wollen, mit Spannung erwartet. Auf drei wesentliche Punkte konnte sich die KMK einigen: die Qualifizierung von Ein-Fach-Lehrkräften, die Möglichkeit dualer Lehramtsstudiengänge und ein Quereinstiegs-Masterstudium. Statt also den Empfehlungen der SWK zu folgen, nimmt die KMK nur die Punkte aus dem wissenschaftlichen Gutachten heraus, die sie als politisch schnell umsetzbare Maßnahmen erkennen, um kurzfristig schnell mehr Lehrkräfte in die Schulen zu bekommen, ohne dabei die Empfehlungen zur Qualitätssicherung und wissenschaftsbasierten Professionalisierung wirklich ernst zu nehmen. Zwar spricht sich die SWK auch für die Möglichkeit der Ein-Fach-Lehrkräfte aus, empfiehlt jedoch eine berufsbegleitende Nachqualifizierung für ein zweites Fach. Auch in Bezug auf den Quereinstiegs-Master folgt die Kultusminister*innen zwar den Empfehlungen der SWK für einen qualifizierten zweiten Weg in den Lehrer*innenberuf, statt jedoch dem Wildwuchs der unterschiedlichsten Formen von Seiteneinstiegsprogrammen oder dualen Lehramtsstudienmodellen zu begegnen und endlich gemeinsame Standards zu entwickeln, forciert die KMK einfach alle schon bestehenden Modelle als zusätzlich Möglichkeit, Personen für den Schuldienst zu gewinnen. Darüber hinaus konnte sich die KMK offensichtlich auf keine weiteren konkreten Maßnahmen einigen, die die im Gutachten der SWK in Bezug auf Daten, Qualität und Reform der Lehramtsstudiengänge angemahnt wurden. Mehr als ein leeres Bekenntnis zu einer wissenschaftsbasierten Lehrer*innenbildung, die die drei Phasen aus Studium, Vorbereitungsdienst und Berufseinstiegsphase systematisch miteinander verzahnt, ist nicht herausgekommen.

Ob durch diese Maßnahmen die Bildungskrise gerade in den Sekundar- und Förderschulen wirksam bekämpft und die Qualität und Attraktivität der Lehrer*innenbildung gesichert werden kann, darf wohl bezweifelt werden. In einem Interview zur Halbzeit-Bilanz der Landesregierung äußerte Bildungsministerin Feußner die leise Hoffnung, dass bis zum Ende der Legislatur eine Unterrichtsversorgung von 100 Prozent erreicht werde – ja, die Hoffnung stirbt zuletzt …