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Warum das BAföG novellieren?

Studierendenarmut auf Höchststand

2021 feierte das BerufsAusbildungsförderungsGesetz (BAföG) sein fünfzigjähriges Jubiläum. Dass dieses Jubiläum dennoch kein Grund zum Feiern war, zeigte eine vor Kurzem erschienene Studie zur finanziellen Situation der Studierenden in Deutschland.

Die Stimmen, die seit Jahren mahnen, dass das BAföG seinen Sinn verfehlt und soziale Ungleichheit bzw. Ungerechtigkeit befördert, sind in den vergangenen Jahren immer lauter geworden und werden es durch diese Studie noch mehr. Die letzte Novellierung des BAföG im Jahr 2019 hat zwar dazu geführt, dass die Bedarfsätze erhöht wurden, jedoch wurden die Zugangshürden für diejenigen, die grundsätzlich einen Anspruch auf BAföG haben, dabei nicht gesenkt. Das hat zur Folge, dass diejenigen, die einen Förderungsanspruch erfolgreich durchgesetzt haben, einen moderaten Anstieg ihres BAföG auf dem Konto bemerken konnten. Die Gruppe derjenigen, die einen Anspruch geltend machen können, hat sich dabei aber weiter verringert.

Eine kürzlich von der Paritätischen Forschungsstelle vorgestellte Studie unterstreicht noch einmal, was der „Alternative BAföGBericht“ der DGB-Jugend bereits im vergangenen Jahr an der Entwicklung des BAföG kritisierte. Die Gruppe der BAföG-berechtigten Studierenden ist zwischen 2010 und 2020 von etwa 386.000 auf etwa 321.000 zurückgegangen, demgegenüber hat sich die Zahl der Studierenden von ca. 2,1 Millionen auf mehr als 2,8 Millionen erhöht. Prozentual ist demnach die Förderquote von rund 19 Prozent auf elf Prozent abgesunken.

Betrachtet man die Steigerung der Lebenshaltungskosten in den letzten zehn Jahren, so hat sich der BAföG-Satz real sogar verringert, was dazu führt, dass sich die ökonomisch-soziale Situation vieler Studierenden auch real verschlechtert hat. So beträgt das durchschnittliche Einkommen derjenigen, die studieren und als arm gelten, etwa 802 Euro, was eine Differenz von 463 Euro bis zur Armutsgrenze von 1.266 Euro in Deutschland ausmacht.

Die Studie geht aber noch weiter und betrachtet nicht nur die BAföG-Berechtigten, sie schaut sich die ökonomische Situation aller Studierenden an und kommt zu einem noch verheerenderen Ergebnis. Von den Studierenden, die in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze leben, lebt ein Großteil in Ein-Personen-Haushalten und hat weniger als den damaligen BAföG-Höchstsatz von 825 Euro zur Verfügung. Die Studie kommt zu folgender Feststellung: „Die Hälfte der Studierenden in Ein-Personen-Haushalten hat unter 825 Euro im Monat zur Verfügung, 25 Prozent kommen lediglich auf ein Einkommen von bis zu 600 Euro. Bei Zugrundelegung des durchschnittlichen soziokulturellen Existenzminimums Alleinstehender von 771 Euro (2019) zeigt sich, dass 40 Prozent aller alleinlebenden Studierenden ein Einkommen unterhalb der durchschnittlichen Bedarfsschwelle aufweisen und mithin unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums leben. Ebenfalls überproportional von Armut betroffen sind Studierende mit BAföG-Bezug: 44,9 Prozent der Studierenden mit BAföG sind arm.“ Dies ändert auch nicht der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 23. Juni 2022, der eine BAföG-Erhöhung auf 934 Euro vorsieht. Dies beinhaltet auch eine Erhöhung der Bedarfssätze um 5,75 Prozent auf 452 Euro sowie einen Anstieg des Wohnkostenzuschlags auf 360 Euro.

Man kann zwar an günstigen Hochschulstandorten in Ostdeutschland wie Magdeburg, Halle, Greifswald, Chemnitz oder Cottbus mit BAföG noch ein einigermaßen erkleckliches Leben führen, schaut man aber in die westdeutschen Bundesländer oder auf ausgewählte ostdeutsche Universitätsstädte wie Leipzig, Dresden, Jena oder Potsdam, dann können die alltäglichen Lebenshaltungskosten bereits erheblich über dem liegen, was mit dem BAföG angemessen abgedeckt werden kann. Der Einkommensfreibetrag wie auch die Anpassungen des Höchstfördersatzes liegen gegenwärtig auf einem Niveau, das den Lebenshaltungskosten nicht entspricht. Mit dem derzeitigen BAföG-Höchstsatz ist es schon jetzt nicht mehr möglich, an den meisten Hochschulstandorten in Deutschland den eigenen Lebensunterhalt vollständig zu decken. Selbst der Freibetrag für eigenen Zuverdienst, der derzeit bei 5.400 Euro pro Jahr respektive 450 Euro im Monat liegt, reicht gerade aus, dass bei voller Förderung von 853 Euro und Ausschöpfung des maximalen Zuverdienstes von 450 Euro pro Monat die Armutsgrenze von 1.266 Euro überschritten werden kann. Für viele Studierende ist es demnach notwendig, neben dem Studium zu arbeiten, um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern.

All dies bekommt man aber nur zu dem Preis, dass sich das Studium in der Regel über die vorgegebene Förderhöchstdauer verlängert und die Studierenden, die bereits sozio-ökonomisch schlechter gestellt sind, durch den Wegfall des BAföG-Anspruchs dann entweder noch mehr arbeiten oder einen Studienkredit aufnehmen müssen. Für diejenigen, die die Förderhöchstdauer überschritten haben, stellt sich also die Frage, ob sie hochverschuldet das Studium abbrechen oder aber über lange Zeit unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums leben wollen, ohne zu wissen, ob sich nach dem Studium die Möglichkeit ergibt, mittelfristig die aufgelaufenen Schulden abtragen zu können.

Von allen aufgezählten Nachteilen des BAföG, die zusätzlich zur frühen Verschuldung kommen, profitiert u. a. die sachsenanhaltische Hochschullandschaft, die mit ihren günstigen Lebenshaltungskosten gegenüber vielen anderen Regionen Deutschlands einen Standortvorteil hat. Dieser Vorteil erledigt sich aber in dem Moment, wo das BAföG bedarfsgerecht als Vollzuschuss vergeben wird oder sich, wie es zurzeit im Zug der hohen Inflation zu beobachten ist, die Lebehaltungskosten schnell und drastisch erhöhen. Ab diesem Moment ist der Ausschluss von anderen Sozialleistungen wie Wohngeld und die Einschränkung von zusätzlicher Erwerbsarbeit eine kaum zu überwindende Hürde für Studierende aus einkommensschwachen Familien. Die Abhängigkeit vom BAföG wird dabei zu einem weiteren Grund von sozialem Ausschluss und eingeschränktem Bildungszugang.

Als vorläufiges Fazit muss festgehalten werden, dass Armut unter Studierenden in den vergangenen Jahren massiv zugenommen hat und dass das BAföG in seiner gegenwärtigen Form dazu beiträgt, die ökonomisch-soziale Ungerechtigkeit weiter zu verstärken. Wer aus einem armen Elternhaus kommt, läuft zurzeit Gefahr, durch ein Studium diese Armut dauerhaft zu verlängern und zu verstärken und muss mitunter darüber hinaus noch dazuverdienen oder sich verschulden, nur um den eigenen Lebensunterhalt abzusichern zu können. Eine Novellierung des BAföG ist also dringend überfällig.

Aus diesem Grund hat die GEW bereits 2021 zum Anlass des 50. Jahrestags des BAföG beschlossen „Talfahrt stoppen – Gerechtigkeitslücken schließen –Strukturreform anpacken“ und fordert die gegenwärtige Bundesregierung auf, die „Ausbildungsförderung zu einem elternunabhängigen staatlichen Studienhonorar für alle“ weiterzuentwickeln.