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Ich bin die GEW

Sven Oeberst: Zuhören können – und „Eile mit Weile“ als Devise

Technikaffin und dennoch mit wachem Blick für problematische Konsequenzen ungebremster Digitalisierung: Sven Oeberst hat als GEW-Kreischef Stendal und Mitglied des Lehrerbezirkspersonalrates speziell die Belange älterer Kolleg*innen im Blick.

Strahlt eine freundliche Ruhe aus: Der 58-jährige Sven Oeberst ist ein Verfechter des Mottos „Eile mit Weile“. | Foto: Andreas Löffler

Ende der 1980er-Jahre an der Pädagogischen Hochschule Güstrow als Lehrer für Polytechnik diplomiert und im Unterricht direkt mit den ersten Kleincomputern in der DDR befasst, ist Sven Oeberst schon von Berufs wegen ein technikaffiner Mann – und bis zum heutigen Tag geblieben. Gleichwohl hat der 58-Jährige, Techniklehrer an der Sekundarschule Bismark, Chef des GEW-Kreisverbandes Stendal und Mitglied des Lehrerbezirkspersonalrates, ein Auge darauf, welche problematischen Folgen ein unreflektiertes Durchdrücken des Themas Digitalisierung nach sich ziehen kann. „Ältere Kollegen haben 30, 40 Jahre lang einen bestimmten Arbeitsstil entwickelt, in dem sie sich bestätigt sahen und gute Ergebnisse erreichten. Das alles soll plötzlich nicht mehr stattfinden, weil Digitalität Einzug hält“, beschreibt Sven Oeberst die oft hautnah miterlebte Konstellation. Womit er sich ausdrücklich nicht gegen den Einsatz neuer Technologien wendet. „Aber wenn ich die nutzen will, brauche ich schlicht Zeit dafür, mich in die neuen Geräte, die neuen Programme einzuarbeiten, muss übergangsweise womöglich noch das ,Alte‘ nebenher laufen lassen. Einfach zu verfügen, ,ab morgen muss das klappen, sieh zu, wie du klarkommst‘, kann in eine Überforderung führen, die krank macht bis zum Burn-out“, schildert er. Da müsse man Grenzen setzen. 

Und schon sind wir mittendrin in Sven Oebersts gewerkschaftlichem Engagement. Seit 1991 ist er GEW-Mitglied, „da war noch kein großer Gedanke dabei. Ich war in der DDR in der Gewerkschaft, und bin halt einfach rübergewechselt“, zeichnet er nach. Doch sei er Mitglied in einem „sehr aktiven Kreisverband“ gewesen. „Als Mitte der 1990er-Jahre eine Fusion auf Kreisebene anstand, bin ich gefragt worden, ob ich fortan im Vorstand mitarbeiten wolle. Ich fand das eine interessante Aufgabe und habe dann zusammen mit gut einer Handvoll Kolleg*innen den Vorstandsbereich Allgemeinbildende Schulen aufgebaut“, erinnert er sich an eine Zeit des Aufbruchs. „Zu dem von uns GEWlern alljährlich organisierten Bildungstag sind bis zu 430 Lehrkräfte gekommen – freiwillig, an einem Sonnabend, von 9 bis 15 Uhr“, blickt er noch heute mit Freude und Stolz zurück und kommt auf dieses besondere Glücksgefühl zu sprechen, das ihn, aufgewachsen in Schwerin, dereinst auch in den Lehrerberuf führte: „Ich find’ das immer spannend, wenn man mit anderen zusammen was gelernt hat und ihnen dabei helfen konnte. Das fing schon ganz früh an im Rahmen von Lernpatenschaften während meiner Schulzeit.„“

„Aktenfresser“: Der Techniklehrer an der Sekundarschule Bismark hat sich beruflich und im Ehrenamt auch tief in juristische Materie eingearbeitet. | Foto: Andreas Löffler

Was dem engagierten Gewerkschafter ebenfalls sehr wichtig ist – und was nach eigener Aussage einen wesentlichen Zug seines Charakters ausmacht –, ist das Zuhören-Können. „Deswegen lege ich auch so großen Wert darauf, dass wir in unserem GEW-Kreisverband Stendal an so gut wie jeder Schule ein Gewerkschaftsmitglied als Vertrauensfrau oder Vertrauensmann und damit unmittelbare Ansprechpartner*innen vor Ort haben.“ Vertrauen ist zweifellos ein zentraler Begriff, wenn man auf Sven Oebersts Weg als Gewerkschafter blickt. Nicht nur, dass ihm der GEW-Kreisverband Stendal seit 2010 das Vertrauen als Vorsitzender schenkt (nachdem er zuvor lange Jahre bereits Stellvertreter war) – nein, schon seit Ende der 1990er-Jahre genießt Oeberst auch das Vertrauen als Abgesandter im Lehrerbezirkspersonalrat, steht für die anstehenden Wahlen im Mai abermals auf Platz 1 der Vorschlagsliste.

„Es ist eine wichtige Aufgabe und eine wunderbare Ergänzung“, sagt der eine große Ruhe ausstrahlende Mann über seine hauptamtliche Mitarbeit in dem Gremium, welche ihn an drei Tagen der Woche ins Landesschulamt nach Magdeburg führt: „Alle Probleme, die ich selbst oder vermittels anderer in der Praxis an der Schule mitkriege, haben immer einen rechtlichen Hintergrund“, erläutert Oeberst, der sich in die juristische Materie derart gern und gut eingefuchst hat, dass er zudem als ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht Stendal wirkt – für die Arbeitnehmerseite. „Mir begegnet da eine große Bandbreite an Konflikten; das ist spannend und lehrreich. Die Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter hat mich in einem ganz starken Maße die Kompromisssuche gelehrt“, macht der Stendaler deutlich. Die Wahrnehmungen von der Situation seien bei den Prozessgegnern ja immer unterschiedlich und man bekomme die Vergangenheit in aller Regel nie 1:1 aufgearbeitet. Fast immer sei die Kommunikation gestört. „Wenn man nicht in dem zwangsläufig unseligen Sieger-Verlierer-Schema landen will, kann man in den Verhandlungen nur den Blick nach vorn richten: Wie wollen wir in Zukunft zusammenarbeiten und miteinander umgehen“, hat Sven Oeberst eine Schlussfolgerung für sich und sein Wirken gezogen. Ein Wirken, für das er sich Energie aus den zwei ihm „heiligen“ Physio- und Sportterminen der Woche holt. „Solange es hell ist, schwinge ich mich danach noch aufs Rad und fahre 15 oder 20 Kilometer.“ Die ersten anderthalb Stunden am Morgen jeden Tages gehören seiner Katze Paula – und drei Wochen der Sommerferien stets und bereits seit zwei Jahrzehnten dem Besuch eines kleinen Dorfes in der süditalienischen Basilikata, am Ionischen Meer. „Das ist dann das absolute Kontrastprogramm zu dem Durchgeplant-Sein, wie ich es aus Beruf und letztlich auch aus meinen Ehrenämtern kenne“, beschreibt Sven Oeberst den langanhaltenden Erholungseffekt und nimmt dies zum Anlass, nochmals dem Motto „Eile mit Weile“ das Wort zu reden, zumal: „Die moderne Arbeitsverdichtung führt nicht nur zu Stress, sondern fast zwangsläufig zu geringerer Qualität.“

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