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Lehrkräftemangel und Überlastung

Teufelskreis durchbrechen!

Sachsen-Anhalts damaliger Bildungsminister Tullner sprach 2016 davon, dass wir in den nächsten fünf Jahren durch ein Tal der Tränen gehen. Es sind nicht nur fünf Jahre, es dauert viel länger. Und mit „wir“ kann er eigentlich nur die Beschäftigten vor Ort und die Schülerinnen und Schüler gemeint haben. Im selben Jahr warf Tullner der GEW vor, dass sie jeden mit einer akademischen Ausbildung für den Einsatz an der Schule für geeignet halte. Inzwischen schreibt das Bildungsministerium getreu dem Motto „Überholen ohne einzuholen“ Stellen aus – mittlerweile ohne Fachanerkennung und mit Bachelorabschluss als unterste Grenze.

Im Bildungssystem existiere „ein Teufelskreis aus Überlastung durch Fachkräftemangel und Fachkräftemangel durch Überlastung“, so die GEW-Bundesvorsitzende Maike Finnern auf dem Gewerkschaftstag in Leipzig. Treffender kann man es nicht formulieren!

Der Druck auf die im System verbliebenen Pädagoginnen und Pädagogen wird offensichtlich immer größer. 20 Prozent des Lehrpersonals flüchten aus den verschiedensten Gründen in eine Teilzeitbeschäftigung. Vor wenigen Jahren noch äußerten die Verantwortlichen, dass ihnen eine teilzeitbeschäftigte gesunde Lehrkraft lieber wäre als eine in Vollzeit gezwungene, die langfristig diesen Belastungen nicht standhält. Doch in den vergangenen Monaten versuchte man, den Druck auf Teilzeitbeschäftigte zu erhöhen. Nachverhandlungen zum Stundenvolumen der Teilzeitverträge sollte den Lehrkräftemangel mindern. Insgesamt werden die Erfolge dabei mäßig gewesen sein. Die Gründe dafür, dass innerhalb eines Jahres ca. 400 Beschäftigte von sich aus gekündigt haben, dürften sicher nicht in der Attraktivität des Jobs an sich gelegen haben. In vielen Gesprächen äußern die Kolleg*innen die feste Absicht, vorzeitig aus dem Dienst auszuscheiden. Die Verschiebung der Altersanrechnungsstunden um zwei Jahre auf das 62. Lebensjahr beflügeln die Entscheidungsfindung eher. Das Land spart ca. 2.800 Anrechnungsstunden, das sind umgerechnet ungefähr 100 Vollzeitlehrerstellen. Ein Vielfaches mehr davon geht durch das vorzeitige Ausscheiden jedoch verloren. „Milchmädchenrechnung“ sagt dazu der Volksmund.

Die Ergebnisse des Deutschen Schulbarometers, bei dem 1.017 Beschäftigte im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung befragt wurden, zeigen deutlich die Probleme auf: Corona sahen 38 Prozent der Befragten als die größte bisherige Herausforderung an, dann folgt gleich der Lehrkräftemangel mit 26 Prozent; 79 Prozent der Lehrkräfte arbeiten sehr häufig am Wochenende, 46 Prozent der Befragten beschreiben eine mentale Erschöpfung, 26 Prozent sind mit ihrem Traumberuf inzwischen eher unzufrieden.

Und was bewegt sich dazu gerade im Feußnerschen Bildungsministerium? Headhunter, 80+10-Unterrichtsmodelle oder die neueste Idee der 4+1-Unterrichtswoche sind offenbar Ergebnisse der Denkprozesse. Doch gerade bei dem 80+10-Modell besteht die latente Gefahr, dass die gewonnenen drei Lehrerstunden zu einer erhöhten Arbeitsbelastung des Personals führen. Doch das wird durch die Verantwortlichen schlichtweg geleugnet. Aber man erklärt auch nicht, wie man das verhindern will. Und wer eine 4+1-Unterrichtswoche im Modell probiert, der übersieht geflissentlich, dass der Schultag zu Hause auch durch die Lehrkräfte zu planen ist – das alles dann aber zusätzlich zur direkten Unterrichtserteilung. Auch das erhöht die Belastung. Damit konterkariert man die Erkenntnisse der Arbeitszeitstudien von Frank Mußmann und auch die aktuellen Umfrageergebnisse der Robert-Bosch-Stiftung.

Schaut man sich an, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre insgesamt 7.000 Beschäftigte das System zu den unterschiedlichsten Zeitpunkten verlassen, bekommt man Angst. Es ist also höchste Zeit, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Im Augenblick verstetigt sich der Eindruck, dass die GEW missachtet wird. Mit dem kleinsten aller Verbände, dem Sekundarschullehrerverband, hat man das 80+10-Modell besprochen und Zustimmung dazu erhalten. Hat man Angst vor uns? Sind wir zu unbequem? Ja, im Interesse unserer Beschäftigten sind wir unbequem, aber vor allem auch erfahren, ideenreich und wir kennen die Lage vor Ort!

Vielleicht sollte die Ministerin einmal über ihren Schatten springen und einen Bildungsgipfel einberufen. Da könnten Vertreter*innen aller Gewerkschaften und Verbände an einem Tisch die Vorschläge und Ideen offenlegen, mit denen man die nächsten fünf Jahre angehen muss. Eine breite Akzeptanz befristeter Lösungen hilft uns mehr, als das einseitige Vorpreschen und das Ignorieren der Betroffenen.

Helfen könnte aus unserer Sicht:

  • Die Umwandlung freigebliebener Lehrerstellen in Stellen für sozialpädagogische Fachkräfte (PM und Schulsozialarbeiter*innen),
  • freiwillige Arbeitszeitkonten,
  • Entbürokratisierung der Schulen,
  • frei gebliebene Schulleiterstellen durch Teams besetzen, um auch Teilzeitbeschäftigten den Job zu ermöglichen,
  • A 13/E 13 für Grundschullehrer*innen, um im Vergleich der anderen Bundesländer konkurrenzfähig zu bleiben,
  • Stipendienprogramme für sachsen-anhaltische Lehramtsstudent* innen mit einer Kopplung an das Hierbleiben (in der Wirtschaft macht man uns das vor),
  • Mentorenprogramme zur Entlastung älterer Kolleg*innen, um die direkte Unterrichtstätigkeit zu mindern und sie so länger im System zu halten,
  • gestaffelte Altersanrechnungen,
  • Masterplan für Grundschulen, bei denen mehr Klassen als Lehrkräfte da sind,
  • ein Budget für Schulen, um ausgewählte Fächer auch durch externes Personal absichern zu können.

Lasst uns also gemeinsam nach vorne schauen. Im Interesse unserer Kinder, aber auch im Interesse der Beschäftigten an den Schulen Sachsen-Anhalts müssen wir gemeinsam neue Wege gehen. Und zwar im Mit- und nicht im Gegeneinander.

Kontakt
Ingo Doßmann
Vorstandsmitglied für Allgemeinbildende Schulen