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Brandbrief an Bildungsministerin

„Unser Unmut wächst von Tag zu Tag“

Die EuW erreichte ein Brandbrief des Kollegiums eines Gymnasiums aus dem südlichen Sachsen-Anhalt (die Schule ist der Redaktion bekannt), dar unlängst an Bildungsministerin Eva Feußner gesandt worden ist. In dem umfangreichen Schreiben wird die aktuelle Schulpolitik Sachsen-Anhalts massiv kritisiert. Lehrkräfte erhielten demnach eine geringe Wertschätzung und würden in der Praxis demotiviert, was häufig zu psychischen Erkrankungen und Burnout führe.

Sehr geehrte Frau Feußner,

die Personalgewinnung der Lehrkräfte an den Schulen ist wesentlich für die Absicherung des Unterrichts. Nichtsdestotrotz sollte sich das Ministerium auch der Herausforderung stellen, wie es bisherige Lehrkräfte halten kann. Die Bedingungen, die medial gefeiert werden (z. B. der Quereinstieg, die Vorgriffstunde), sind praxisfern und zeigen eine geringe Wertschätzung gegenüber unserem Beruf als auch dem Engagement jedes Einzelnen. So wird offiziell versucht darzustellen, wie sich dem Unterrichtsausfall und dem Lehrermangel entgegengestellt wird – doch schaffen einige strukturelle Gegebenheiten nicht nur Unmut im Kollegium, sondern auch Frust gegenüber dem Job und eine zunehmende Abkehr vom Arbeitgeber, dem Bildungsministerium Sachsen-Anhalt, hin zu anderen Bundesländern und besseren Arbeitsbedingungen. Da unsere Schule ein Gymnasium ist, möchten wir hierbei Impulse für eine notwendige Umstrukturierung liefern, die sicher nicht unbekannt sind. Dabei haben wir uns auf vier Punkte fokussiert, die wir im Folgenden vorstellen möchten:

  1. Wir haben KollegInnen, die während der Abiturzeit gleichzeitig Erst- und Zweitkorrektoren sind. Das heißt, ab dem Ablauf der Frist zur Erstkorrektur werden Gutachten geschrieben, die Zweitkorrektur durchgeführt, Absprachen diesbezüglich getroffen und parallel müssen der tägliche Unterricht abgedeckt, Vertretungsstunden in unbekannten Klassen geleistet als auch Projekte umgesetzt werden. Für diese Arbeit erhalten die betroffenen KollegInnen Minusstunden, obwohl das Erstellen eines justiziablen Gutachtens sehr zeitaufwendig ist. In welchem Beruf bekommt man Minusstunden für solche wichtigen Tätigkeiten? Beispielsweise im Fach Biologie werden 46 Prüfungen von zwei Lehrkräften in Erst- und Zweitkorrektur korrigiert und die Gutachten erstellt. Zusätzlich unterrichten die Kolleginnen die 11. Klassen der Sekundarstufe II. Die Bemessung der Anrechnungsstunden muss sich nach der Anzahl der zu korrigierenden Abiturarbeiten richten. Durch die Regelungen der ArbZVO-Lehr § 10 kommen derartige Ungerechtigkeiten zustande, die zu einer Überbelastung Betroffener führt. Die Wertschätzung der Zweitkorrektur sowie des Erstellens und Überarbeitens der Gutachten ist in keinster Weise gegeben. Zudem kommt in diesem Jahr eine weitere zusätzliche Belastung durch die Vorbereitung und Abnahme der mündlichen Prüfungen zustande. Das Land hat gegenüber seinen Angestellten eine Fürsorgepflicht, die es wahrnehmen muss, da es Potential liefert, aufgrund von § 7 weitere rechtliche Schritte vorzunehmen. Dies sollte das Land vermeiden, indem es die Anrechnung der enormen zusätzlichen Arbeit solange vergütet, bis diese Periode abgeschlossen ist.
     
  2. Vielen KollegInnen wird durch die immer weiter sinkende Anrechnung von Projekten, Wettbewerben, Exkursionen, AGs hier die Möglichkeit verbaut, das aktive Schulleben für die Schülerschaft zu ermöglichen. Ein Beispiel hierfür wäre „Jugend trainiert für Olympia“. Der Sportwettbewerb steht exemplarisch für viele Projekte, bei denen Lehrkräfte einen enormen Zeitaufwand sowohl in die Vor- als auch Nachbereitung sowie Durchführung investieren. Ohne Anrechnung oder Vergütung wird von den KollegInnen erwartet, dass sie sich derart engagieren. Durch die Verminderung der Anrechnungsstunden verschlechtern Sie also aktiv die Qualität des schulischen Lebens. Besonders für die Kinder und Jugendlichen, die innerhalb des schulischen Alltags sonst nicht so viele Erfolgserlebnisse haben, kann solch ein Projekt eine Möglichkeit der Weiterentwicklung und Teamfähigkeit darstellen, die Sie durch die Ausnutzung der Einsatzbereitschaft der Lehrkräfte ohne jegliche Vergütung versuchen zu ermöglichen. Die neuen Lehrpläne fordern zudem vermehrt Projektarbeit und Lernen am außerschulischen Ort, was der angerechneten Arbeitszeit ebenfalls entgegensteht und dasselbe Problem aufwirft.
     
  3. Die in den Erlassen benannte Arbeitszeit von um die 50 Wochen- stunden Arbeitsumfang entspricht nicht der realen Arbeitszeit eines Gymnasiallehrers (Anmerkung dazu: auch die Ferien können durch den Arbeitsumfang, der schulformspezifisch durch z. B. Korrektur von Vorabitur-Klausuren, Abiturkorrekturfristen u. ä. besteht, nicht aufgewogen werden). Eine Erfassung realer Arbeitszeit ist hierbei von Nöten, um einen Arbeitsschutz der Lehrkräfte zu gewährleisten und den berufs- bedingten psychischen Erkrankungen wie z. B. Burnout, welche durch die bisherigen Strukturen gefördert werden, realistisch durch gezielte Maßnahmen entgegentreten zu können.
     
  4.  Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat sich aus diesen Gründen eindeutig dafür ausgesprochen, dass auch Lehrkräfte in der Arbeitszeiterfassung mit einzubeziehen sind. Eine „Prävention“ durch einen Tag der Lehrergesundheit reicht nicht aus und wirkt unter den aktuellen Umständen zynisch. Wenn in den schriftlichen Prüfungsfächern der 12. Klasse z. B. der Unterricht ausfällt, muss dieser zudem im Zuge einer gewissenhaften Vorbereitung auf das Abitur anderweitig von den KollegInnen zusätzlich kompensiert werden. Prinzipiell jedoch ist diese Idee des Präventionstages, selbst wenn man sich von seinen Pflichten lossagt, nicht ausreichend, um den Arbeitsschutz der Lehrkräfte zu forcieren, wenn der Arbeitgeber – das Bildungsministerium – seine eigene Verantwortung lediglich marginal wahrnimmt, sich eingesteht sowie sich nicht für seine Angestellten einsetzt.
     
  5. Möchten Sie fünf Tage lang 24 Stunden die Verantwortung und Betreuung für Kinder und Jugendliche bei einer Klassenfahrt übernehmen und dafür 26 Arbeitsstunden (mit Vorgriffsstunde) angerechnet bekommen? Oder ein Skilager leiten, bei dem sogar noch Nachtfahrten und Arbeiten am Wochenende hinzukommen, was minimal verrechnet wird? Die restliche Zeit leisten Sie natürlich, weil es Ihre Berufung ist – wie es alle KollegInnen machen sollen. Auch hier werden Lehrkräfte, die keine Klassenfahrten, Skilager o. ä. durchführen, „belohnt“, weil sie ebenfalls ihre 26 Arbeitsstunden absolvieren. Dies gilt für alle zusätzlichen Aktivitäten, wie z. B. Sportfeste, Exkursionen, Wandertage, „Jugend trainiert für Olympia“, Arbeitsgemeinschaften. Dieses System fördert Lehrkräfte, die das Schulleben nicht aktiv sowie kreativ mitgestalten wollen. Es bestraft Lehrkräfte, die neben den 26 Unterrichtsstunden vor Ort die oben aufgeführten Aktivitäten sowohl planen, durchführen als auch gewissenhaft nachbereiten. Die Vorgriffstunde verschärft diese Situation zusätzlich noch. Unser Unmut wächst von Tag zu Tag, unsere Kraft schwindet und die Motivation wird sich auf Dauer unter den aktuellen Bedingungen nicht aufrechterhalten lassen. Andere Bundesländer, wie z. B. Sachsen oder Brandenburg, haben schon gute Lösungsansätze für die Probleme gefunden, an denen man sich orientieren muss. Hier werden z. B. die Minusstunden pro Monat gekappt und nur die Plusstunden angerechnet, so entsteht kein Unmut in den Kollegien oder auch Anrechnungsstunden für Projekte gegeben. Wir fordern eine Überarbeitung der Erlasse zu den Mehr- und Minderstunden sowie die angemessene und gerechte Vergütung geleisteter Mehrarbeit.

 

Mit freundlichen Grüßen

Die Personalvertretung im Namen der KollegInnen