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Senior*innenpolitische Fachtagung der GEW

Vielleicht ist 70 bald das neue 35 ...

Die 7. Senior*innenpolitische Fachtagung der GEW fand vom 4. bis zum 6. Juli in Bonn statt und stellte unter dem Thema „Alterspolitik und soziale Verantwortung“ die Freiwilligenarbeit, die Rolle des Wohlfahrtsstaates, Ansätze für eine zeitgemäße Senior*innenpolitik und den Generationendialog in den Fokus.

Foto: Babette Brandenburg

Mit Spannung fuhr ich erstmals zu der Fachtagung, die bereits seit 25 Jahren etwa alle vier Jahre veranstaltet wird. Neben mir waren etwa 120 Teilnehmer*innen aus allen Bundesländern angereist, um sich mit namhaften Expert*innen aus Wissenschaft und Politik auszutauschen.

Nach der Begrüßung, dem ersten Kennenlernen und einem Kamingespräch mit der Vorsitzenden der GEW, Maike Finnern, startete Frauke Gützkow, im GEW-Vorstand für Senior*innenpolitik zuständig, mit der Frage: „Was ist die Rolle der Senior*innen in der GEW? Wie schaffen wir es, für die Jüngeren Professionspolitik zu machen und für die Älteren eine Altersphasenpolitik?“ Sie forderte: „Wir brauchen eine Senior*innenpolitik, die auf respektvoller Solidarität zwischen den Generationen fußt und Älteren Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglicht.“ Und schon waren wir in der Materie: Was bedeutet alt werden in unserer Gesellschaft? Wie kann eine zeitgemäße Politik für Senior*innen aussehen? Wie können Menschen im Ruhestand wirkungsvoll an der Gesellschaft teilhaben? Uns erwartete ein spannender Mix von Fachvorträgen, Podiumsrunden und Workshops, deren Inhalte in den Pausen angeregt weiter diskutiert wurden.

Die Fachvorträge begannen mit dem Thema „Freiwilligenarbeit versus Wohlfahrtsstaat als Ressource“. Dazu unterstrich der Sozialforscher Stefan Sell die Wichtigkeit der Freiwilligenarbeit für die Gesellschaft: 84 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, trotzdem werde dies in der Gesellschaft ungenügend wertgeschätzt. Sein Fazit: „Freiwilligenarbeit und Wohlfahrtsstaat stehen in einem Spannungsverhältnis, das wir immer wieder neu aushandeln müssen.“

Hildegard Theobald, Professorin für Gerontologie, verglich die Rolle von Freiwilligenarbeit und Sozialstaat in Deutschland, Japan und Schweden. Trotz der sehr unterschiedlichen Versorgungssysteme fällt ein Missstand auf, der dringend geändert werden muss: Alle drei Länder setzen auf den Einsatz von Frauen.

Klaus Beck, Bundessenior*innenbeauftragter des DGB, stellte klar: „Senior*innenpolitik muss Querschnittspolitik sein, die sich durch alle Lebensbereiche zieht.“ Denn von der Absenkung von Bordsteinen in einem Quartier haben Eltern mit Kinderwagen genauso viel wie Senior*innen mit Rollator. Er erinnerte an eine zentrale gewerkschaftliche Forderung: „Damit die Anliegen Älterer gehört werden, brauchen wir endlich flächendeckend Senior*innenmitwirkungsgesetze.“

Detmar Jobst, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen und Stadtrat in Bonn, zeigte danach an einigen gelungenen Beispielen seiner Stadt, wie erfolgreich eine engagierte Stadtpolitik sein kann, wenn sie sich engagiert für die Belange Älterer einsetzt. Die anschließende lebhafte Diskussion der Teilnehmenden untermauerte die Wichtigkeit und Aktualität dieses Themas.

Regina Görner, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), ermunterte Ältere, lauter zu werden. Denn die Gruppe der Senior*innen ist größer und vielfältiger denn je. „Das sind Menschen mit reichem Erfahrungsschatz und viel Zeit. Wir sollten uns für ein Umdenken einsetzen – dann ist vielleicht bald 70 das neue 35.“

Der Generationendialog gewinnt derzeit in der GEW immer mehr an Bedeutung. Als beispielgebend wurde die Tagung in Erkner im Juni genannt, in der ein fruchtbares Miteinander stattfand. Das generationenübergreifende Miteinander funktioniert auch schon erfolgreich bei der Bewegung „Omas gegen Rechts“. In der anschließenden Diskussion waren wir uns einig: Es braucht mehr gemeinsame Veranstaltungen für Alt und Jung, auch in der Gewerkschaftsarbeit.

Das Themenspektrum der Workshops umschloss wesentliche Felder der senior*innenpolitischen Arbeit der GEW: Alter(n)sgerechte Arbeit, Leben mit der Digitalisierung, Pflegezeit für Angehörige tragfähig gestalten, Altersbilder hinterfragen, selbst reparieren und sich im Alltag organisieren, intergenerationelles Wohnen, sichere und flexible Mobilität für Senior*innen sowie Altersarmut von Frauen bekämpfen. In der Schlussrunde konnte festgestellt werden, dass es bereits viele gute Ideen und Initiativen in den einzelnen Bundesländern gibt.

Abgerundet wurde die Fachtagung mit einem abendlichen Kulturprogramm mit stimmungsvollen Chansons, die viele von uns zum ausgelassenen Mitsingen bewegten. Mir hat besonders gefallen, dass während der gesamten Tagung eine positive und konstruktive Grundstimmung vorherrschte und ein Wir-Gefühl auslöste.

Außerdem gefiel mir, dass die Veranstaltung von einem wohl dosierten Methodenmix von Plenumsdebatten und Vertiefungen in kleinen Workshop-Runden getragen wurde. Zudem waren die Gespräche in den Pausen und Abenden sehr wertvoll. Wir konnten uns mit den anderen Teilnehmenden austauschen, neue Kontakte knüpfen und vor allem neuen Input und vielfältige Anregungen für die zukünftige eigene gewerkschaftliche Arbeit bekommen. Die Fachtagung hat mir gezeigt, wie vielfältig die Arbeit in der GEW generell und wie wichtig und wertvoll die Senior*innenarbeit, egal in welchem Bereich, ist.

Kontakt
Kerstin Kielgaß
Landessenior*innenbeauftragte