Kolumne „(un)klare Sache“
Wahlplakate in einer Pfütze
Jürgen Köhler-Grundmann verfasst regelmäßig für unser Mitgliedermagazin „klar!“ eine Kolumne über gesellschafts- und bildungspolitische Themen.
Aus dem Tor ihres Kindergartens stürmen die Kinder des Teams „Milchstraßenklub“ auf den regennassen Marktplatz. „Ein See“, heißt es, „ich seh’ mein Spiegelbild.“ Einige hopsen vorsichtig zwischen Pflaster und Wasserfilm; wenige Spritzer landen in Stiefeln und auf Hosen. Lächelnd schaut die Erzieherin zu, beobachtet still vergnügt ihre Schar. Dann geht sie zu einer besonders großen Pfütze und wendet sich an die Gruppe: „Aufgepasst, meine lieben Kinderchen: So wird gespritzt, so entsteht eine Fontäne.“ Sie führt einen kräftigen Absprung aus, landet mitten in ihrer Lieblingspfütze und sorgt für ein wunderschönes Wasserspiel aus ungezählten Tröpfchen. Der Jubel auf dem Markt ist grenzenlos. „So entsteht ein Springbrunnen“, ruft sie strahlend, „auf diese Weise geht das mit Bildung – und mit Lebensfreude ebenfalls.“
Klar, das passt, denke ich, umkurve einige Wasserreste – jetzt auch mal springen? – und schlendere zum Rand des Platzes. Dort werden Wahlplakate abgehängt; bunte Beschwörungsformeln landen im Müll. „Und was hat’s gebracht?“, höre ich einen der Nachsorger murmeln. In einer Pfütze warten zwei Wahlbotschaften darauf, demnächst von der Sonne getrocknet und erweckt zu werden. Auf der Ladenscheibe vor mir prangt ein großes Fragezeichen neben der blau gefärbten Karte von Sachsen-Anhalt. Gegen dieses Ein-Farben-Rechts-Ruck-Problem wurde eine Weltkarte gehängt, übersät mit farbenfrohen Blumen. „Unsere Enkelkinder wünschen sich bunte Gärten und keine Scherbenhaufen“ – hat jemand dazu geschrieben.
In die Nähe von Düsseldorf wurde ein Zettel geklebt: „Der Konzern Rheinmetall hat seit Februar 2022 seinen Börsenwert verzehnfacht.“ Mit Kaffeelöffeln und Fahrradklingeln wäre das nur schwer zu schaffen gewesen, dafür müssen Waffen verkauft und „Kriegstüchtigkeit“ beschworen werden; Militärmusik statt Kaffeekantate.
Derzeit erleben wir die Normalisierung von Grenzüberschreitungen und extremen Haltungen in bisher kaum gekanntem Ausmaß; Lügen und Verdrehungen werden mit unschuldigem Augenaufschlag als Wahrheiten gehandelt. Und wer „abgehängt ist“ (beliebte Formulierung in Wahlnachlesen), erkennt das eben nicht und begnügt sich mit „einfachen Antworten“ oder gar keinen (auch das ist ein beliebter Vorwurf). In solchen Zeiten liegt ein Stimmzettel besonders schwer in der Hand – die Verantwortung ist mehrfach: Wohin mit den Kreuzchen? Habe ich meine Erwartungen weise delegiert? Was werden „die da oben“ unter Berufung auf meine Stimme tun oder nicht tun? Wie kann ich in der Zwischenzeit Einfluss nehmen? Und die Wünsche der Kinder vom Marktplatz, werden die irgendwo angekreuzt? Schenkt den Kindern Einfluss – über ihre kluge Erzieherin?
Aber auch ohne Stimmzettel: Fragen stellen und den Antworten lauschen. Vorschläge formulieren und der Kritik öffnen. „Abgehängte“ wieder anhängen und beteiligen. Und wie soll das geschehen? Alles summiert sich und ergibt die schlichte Forderung: Endlich mehr Bildung! Ist denn das zu viel verlangt? Nein, es wäre gerecht – schließlich ist Bildung der Schlüssel zu einem glücklichen Leben.