Kritik eines Kreiselternrates und Antwort der GEW
Waren die Warnstreiks berechtigt? – Ja!
Im Rahmen der Tarifrunde 2021 hatte die GEW Sachsen-Anhalt im Oktober und November 2021 die Kolleginnen und Kollegen, die im Bereich des TV-L angestellt sind, zu Warnstreiks aufgerufen. Daraufhin erreichte die GEW ein Brief des Kreiselternrates des Salzlandkreises, in dem Unmut und Unverständnis über die damit verbundenen Unterrichtsaufälle ausgedrückt wurde. Eva Gerth erläuterte in ihrem Antwortbrief an den Kreiselternrat die Ausgangssituation und die Gründe für den Streik und dass für viele der seitens der Elternvertretung angesprochenen Probleme an den Schulen ein Streik gar nicht möglich ist. Darüber, wofür gestreikt werden darf und wofür eben nicht, herrscht weitverbreitete Unkenntnis, wie auch dieser Elternbrief wieder zeigt.
Sehr geehrte Frau Gerth,
als Kreiselternrat des Salzlandkreises möchten wir uns zu den
von Ihnen aufgerufenen Warnstreiks äußern.
Wir halten den Zeitpunkt für diese Maßnahme für absolut fragwürdig. In den Schulen ist die Hölle los durch immer weiter steigende Infektionen mit dem Coronavirus! Und Sie streiken um höhere Bezüge? Unsere Kinder durchleben im Moment Chaos, Druck und Durchseuchung. Schüler gehen unter extremer Angst vor einer Infektion in die Schule. Und Sie rufen allen Ernstes zu einem Warnstreik auf? Um mehr Bezüge einzufordern, riskieren Sie die Gesundheit unserer Kinder! Schülerinnen und Schüler werden am Tag des Streiks in gemischten Gruppen betreut, weil es auf Grund der personellen Besetzung an den Schulen nicht möglich ist, Kohorten zu bilden. Seit Jahren fehlen unseren Kindern Unterrichtsstunden. Sie müssen jetzt einen weiteren Tag Ausfall in Kauf nehmen. Das können sich die Schüler absolut nicht leisten, denn verloren gegangener Unterrichtsstoff aus vergangenen Schulschließungen wurde bis heute sicherlich nicht komplett aufgearbeitet.
Die Schüler, unsere Kinder, erleiden seit März 2019 immensen emotionalen Stress und werden als „i-Tüpfelchen“ durch diese, aus unserer Sicht im Moment absolut sinnlose Aktion, noch mehr
belastet.
Wir würdigen die tägliche Arbeit der Lehrkräfte sehr. Vor allem während der Pandemie hat das Personal in den Schulen enorm viel geleistet. Und natürlich muss diese Arbeit wertgeschätzt werden. Aber der Zeitpunkt hätte für unsere Kinder nicht schlechter sein können!
Im Grunde genommen arbeiten wir alle doch für und mit unseren Kindern, also warum streiken Sie nicht mal für mehr Personal an den Schulen, modernere Lernvoraussetzungen an den Schulen, bessere Schülerbeförderungsmöglichkeiten oder endlich Luftfilteranlagen für alle Schulen, um Schüler und Schulpersonal vor dem Coronavirus zu schützen? Oder auch dafür, dass die damit verbundenen Maßnahmen in den Schulen endlich durchgesetzt werden?
Streiken Sie doch bitte auch für unsere Kinder, denn diese sind Ihre „Arbeitsgrundlage“. Und sie sind es definitiv wert, dass für sie gekämpft wird.
Wenn diese Überlegungen und auch Ihre Geldforderung der Sinn Ihres Streikes wäre, würden wir als Eltern Ihr Schild halten.
Viele Grüße
Der Vorstand des Kreiselternrates des Salzlandkreises
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihren Brief und die offenen Worte. Ihre Sorgen kann ich akzeptieren. Ich will versuchen, darauf zu antworten, und kann hoffentlich einige der Vorwürfe entkräften.
Der Tarifabschluss, der bisher galt, war vom März 2019. Dieser sah eine Entgelterhöhung vor für die Jahre 2019, 2020 und 2021. Für das Jahr 2021 war 1,4 % mehr Gehalt vereinbart. Bei einer steigenden Inflationsrate – 4,1 % im Oktober – nimmt sich diese Zahl aus meiner Sicht eher bescheiden aus. Der entsprechende Tarifvertrag galt bis Ende September. Das erklärt den Zeitpunkt des Streiks und bedeutet aber auch, dass Lehrkräfte und pädagogisches Personal seit mehr als zweieinhalb Jahren nicht gestreikt haben.
Ich würde den „schwarzen Peter“ gern weitergeben. Bei Tarifabschlüssen gibt es immer zwei Parteien. Auf der anderen Seite des Tisches sitzen die Arbeitgeber, in unserem Fall die Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die TdL. Üblicherweise sind das die Finanzminister der Länder. Von dort gibt es kein Angebot bisher, obwohl seit dem 8. Oktober dieses Jahres zwischen TdL und Gewerkschaften verhandelt wird. Hätten wir ein vernünftiges Angebot, wäre es sicherlich nicht zum Streik gekommen. Eine Wertschätzung der Arbeit des pädagogischen Personals sieht aus meiner Sicht anders aus.
Streiken dürfen Gewerkschaften und ihre Mitglieder nur, wenn es entweder keine oder gekündigte Tarifverträge gibt. Aber weder ausreichend Personal in den Schulen, noch Luftfilter oder eine bessere Ausstattung von Schulen – nichts davon wird tariflich geregelt, sondern durch Gesetze, Verordnungen und Erlasse. Das liegt in der Verantwortung der Landesregierung, des Bildungsministeriums bzw. der Schulträger. Hier kann die GEW nur mahnen und Verbesserungen fordern.
Das Gleiche trifft für den Infektionsschutz bzw. die Gesunderhaltung von Schüler*innen und pädagogischem Personal zu. Auch Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiter*innen gehen derzeit mit einem mulmigen Gefühl zur Schule, da dort das Ansteckungsrisiko außerordentlich hoch ist und unserem Arbeitgeber, außer mehr zu testen, bisher nichts dazu eingefallen ist.
Insofern stehen wir beim Kampf um Verbesserungen bei den von Ihnen angemahnten Themen eher auf der gleichen Seite. Wir als GEW haben sowohl mit dem Volksbegehren, als auch während der „Schulfriedengespräche“, als auch mit unserer Arbeitszeitkampagne – in der wir u. a. Arbeitszeitkonten zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung fordern – immer für mehr Lehrkräfte, für eine gute Ausstattung der Schulen, für mehr Digitalisierung gekämpft. Wir mahnen seit Jahren bei der Ausbildung von Lehrkräften höhere Zahlen an.
Ich kann Ihnen versichern, dass es durch unseren Streik auf jeden Fall weniger Unterrichtsausfall gab, als die Landesregierung durch ihre Personalpolitik verursacht hat. Die Zusammenarbeit der GEW mit den Elternräten, vor allem auch mit dem Landeselternrat, war immer gut und das soll aus meiner Sicht auch so bleiben. Lassen Sie uns gegen die Missstände gemeinsam kämpfen. Unseren Streik haben wir mit Augenmaß geführt, dies kann ich Ihnen versichern.
Mit freundlichen Grüßen
Eva Gerth
Vorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt
39114 Magdeburg