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Wie steht es um die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes?

Dr. Ursula Föllner, Aktive in der Hochschulgruppe der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und ehemalige Personalrätin, berichtet ausführlich über die Diskussionsveranstaltung „Wissenschaft in Aufruhr – Wie steht es um die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes?“, die Ende Juni stattfand.

Foto: Sofia Kohler

„Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ (WissZeitVG) – was für ein Wortungetüm! Aber die Wissenschaft ächzt weniger unter der Benennung des Gesetzes, das wesentliche Rechte und Sicherheiten des Arbeitsrechtes in staatlichen wissenschaftlichen Institutionen aushebelt. Man ist ja schließlich mittlerweile an verschleiernde Benennungen für unangenehme Sachverhalte gewöhnt, insbesondere wenn diese im Zusammenhang mit der Situation von Bildung und Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland und deren Bundesländer stehen. Vielmehr ist es der Inhalt dieses Gesetzes, seine Regelungen, wie Arbeitsverträge zeitlich befristet geschlossen werden dürfen, der den Beschäftigten oder eben Nicht-Beschäftigten, aber auch den Verwaltungen, das Leben schwer macht.

Und so ruhten die Hoffnungen der letzten optimistisch gestimmten Personen, die es im großen Bereich von Bildung und Wissenschaft in diesem Lande noch gibt, auf der angekündigten Novelle des WissZeitVG. Als real denkender Mensch ahnte man, dass nichts so schlecht ist, als dass man es nicht noch schlimmer machen könnte. Und so kam es dann auch. Nachdem das Ministerium von Bettina Stark-Watzinger – um einmal den Namen der weitgehend unsichtbaren zuständigen Bundesministerin in Erinnerung zu rufen – den Entwurf des überarbeiteten WissZeitVG an einem Freitagnachmittag vorstellte, musste dieser über das Wochenende schon wieder einkassiert werden. Zu groß war die Entrüstung all der Menschen, die mit dieser Überarbeitung hätten leben müssen, sei es in der Forschung, der Lehre oder der Verwaltung. Ein inhaltlich und handwerklich schlechtes WissZeitVG bringt dem Wissenschaftsstandort Deutschland bereits heute erhebliche Nachteile im internationalen Wettstreit um die besten, aber auch um die guten Köpfe (→ EuW 6/2023, S. 12/13, Beiträge von Prof. Dr. Stephan Freund „Befristung reduziert Qualität“ und Dr. Tina Rosner-Merker „Wenn der Malus des Systems spürbar wird“). Die unsozialen Wirkungen der Aushebelung von etlichen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften seien an dieser Stelle dabei nur ergänzend erwähnt.

Selbstredend setzt sich die GEW auf allen Ebenen und insbesondere auch mit ihrer Basis, den Hochschulgruppen, unermüdlich dafür ein, diese Situation zum Positiven zu verändern. Das heißt zum Beispiel, Sachverstand in die Debatten einzubringen und die Auswirkungen der Gesetzestexte für die Praxis zu illustrieren (→ GEW-Eckpunkte für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz). So luden der Landesvorstand der GEW sowie die Hochschulgruppe der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg zu einer Diskussionsveranstaltung am 27. Juni 2023 ein. Das Motto lautete: „Wissenschaft in Aufruhr – wie steht es um die Reform des WissZeitVG?“ Vor dem sehr gut gefüllten Senatssaal nahmen im Podium Personen Platz, die aus unterschiedlichen Perspektiven ihre Erfahrungen, Kenntnisse und Forderungen einbrachten: Dr. Petra Sitte und Martin Kröber als Abgeordnete im Deutschen Bundestag, Eva Gerth als Landesvorsitzende der GEW, Thomas Hoffmann als Mitglied der Bundesfachgruppe Hochschule und Forschung der GEW sowie quasi von Arbeitgeberseite Angela Matthies, die amtierende Kanzlerin und Leiterin des Personaldezernates an der Otto-von-Guericke-Universität. Geleitet wurde die Diskussionsveranstaltung durch Dr. Steffi Kaltenborn, Vertreterin des entsprechenden Vorstandsbereiches der Landes-GEW sowie Personalrätin auf Landes- und Hochschulebene.

Foto: Sofia Kohler

Nach einem Eingangsstatement von Thomas Hoffmann, in dem er das Für und Wider verschiedener Regelungen für die unterschiedlichen Qualifizierungsphasen gegeneinander abwog und schließlich meinte, man brauche eigentlich ein „Wissenschaftsqualifizierungsgesetz“, kam eine Reihe Betroffener zu Wort, die aus ihrer Sicht die zahlreichen Probleme und Ungereimtheiten der Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft schilderten. Während in der allgemeinen Arbeitswelt eine individuell angemessene Ausgewogenheit zwischen dem Job und seinen Anforderungen einerseits und Familie und Freizeit andererseits immer bedeutsamer wird, hangelt man sich in der Wissenschaft nicht selten von einem befristeten Teilzeitvertrag zum nächsten. Hinzu kommen laut Schilderung aus dem Plenum enorme Forderungen außerhalb der Qualifizierung durch Lehraufgaben, hohe Publikationsraten sowie Managementanforderungen.

Die Lebensplanung, eine Familienplanung, die Vereinbarung von Beruf und Privatem werden enorm erschwert und machen Wissenschaft als Beruf in Deutschland unattraktiv. Auch finanziell wäre es beispielsweise für viele lukrativer, in den Schuldienst zu wechseln oder in die Wirtschaft zu gehen. Dass die „Selbstausbeutung Teil des Systems“ sei, fand im Plenum allgemeine Zustimmung und auch im Podium gab es keinen Widerspruch. Neben den Regelungen des WissZeitVG wurde in diesem Zusammenhang auch die chronische Unterfinanzierung des Hochschulwesens für die beschriebene Situation verantwortlich gemacht. Selbst die durch bzw. für Projekte eingeworbenen Drittmittel oder Förderprogramme von Bund und Land ermöglichen durch ihre zeitlich begrenzte Verfügbarkeit kaum eine kontinuierliche, sachorientierte und personalgewinnende Arbeit an den Wissenschaftseinrichtungen. Die Schilderungen aus dem „wahren Arbeitsleben“ an einer Universität wurden u. a. von der Arbeitgeberseite nicht in Abrede gestellt, sondern erörtert, dass es für die Personalverwaltungen der Hochschulen gelte, rechtssichere Verträge zu schließen. Dabei bemühe man sich, durch die Vereinbarung von Richtlinien und internen Regelungen im Rahmen des Gesetzes individuelle Härten abzumildern und insbesondere für Qualifizierungen gute Bedingungen zu schaffen, wobei die Zusammenarbeit mit den Gremien und insbesondere mit dem Personalrat wichtig sei. Eine Verknappung der Qualifizierungszeit in der Habilitationsphase wurde als unangemessen beschrieben.

Sowohl Eva Gerth als auch Thomas Hoffmann forderten von der Politik klare arbeits- und tarifrechtliche Regelungen ein, die den besonderen Bedingungen in der Wissenschaft angemessen seien. So müsse u. a. definiert werden, was „Qualifizierung“ eigentlich sei, transparente Strukturen müssten individuelle Abhängigkeiten während der Qualifikation minimieren, die Grundfinanzierung der Hochschulen sollte erhöht und die Möglichkeiten unbefristeter Beschäftigung entsprechend der tatsächlichen Aufgaben deutlich erweitert werden.

Aus der Politik gab es hierzu weitestgehend Zustimmung und die explizite Forderung nach Tarifverträgen für studentische Beschäftigte. Dr. Petra Sitte schloss sich ausdrücklich der Forderung nach einer auskömmlichen Finanzierung des Hochschulsystems an und trat für mehr unbefristete Arbeitsverträge ein, um nicht immer wieder qualifiziertes Personal für Lehre und Forschung zu verlieren. Martin Kröber zweifelte an, ob es überhaupt eines WissZeitVG bedürfe, setzte auf Tarifverträge und gab der Hoffnung Ausdruck, dass der momentan ungeeignete Entwurf des Bundesministeriums durch die Anhörungen im Parlament zu verändern sei.

Nach einer mehrstündigen interessanten, sachlichen und mitunter auch turbulenten Diskussion konnte Dr. Steffi Kaltenborn die Veranstaltung mit der Feststellung beenden, dass die Hochschulen offensichtlich keine attraktiven Arbeitgeber mehr seien und die Diskussion im Interesse positiver Veränderungen unbedingt weitergeführt werden müsse. In die Verantwortung hierfür sei außer der Politik aber auch die Professorenschaft zu nehmen. Es bleibt weiterhin für die GEW in ihrer Gesamtheit eine Herkulesaufgabe, auf positive Entwicklungen hinzuwirken.

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