Podiumsdiskussion an der MLU
WissZeitVG muss dringend nachgebessert werden
Über das in den letzten Monaten viel diskutierte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Das zeigte eine gut besuchte Diskussionsveranstaltung, zu der die GEW-Hochschulgruppe der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) für den 2. November eingeladen hatte.
Im Podium saßen Holger Mann (MdB SPD), Petra Sitte (MdB Die LINKE), Insa Theesfeld (Prorektorin für Personal- und Organisationsentwicklung der MLU), Stefani Sonntag (Referentin im OB Hochschule und Forschung der GEW) und Grit Böhme, die als Betroffene von ihrer Situation an der MLU berichtete. Neben dem Sprecher der Promovierendenvertretung der MLU, Alan van Keeken, gaben zudem einzelne Wortmeldungen aus dem Publikum Einblicke in die Lebensrealität angehender Wissenschaftler*innen.
Der Titel der Veranstaltung „Wissenschaft in Aufruhr“ bezog sich auf den Referentenentwurf der Novellierung des WissZeitVG. Dieser wurde zu Beginn des Jahres durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung veröffentlicht und aufgrund massiver Kritik nach nur wenigen Tagen in die „Montagehalle“ zurückgerufen. Holger Mann nahm auf dem Podium dementsprechend die zugegebenermaßen etwas undankbare Rolle des einzigen Vertreters der Bundesregierung ein. Er kritisierte, dass der Entwurf ohne eine erklärende Beilage und offensichtlich ohne größere interne Absprache veröffentlicht worden sei. Im Grundsatz verteidigte er jedoch die Novellierung und hält sie unter den derzeitigen Kräfteverhältnissen – auch mit Blick auf die kommende Bundestagswahl – für die beste Lösung. Bereits zu Beginn mahnte er an, dass die Kritiker*innen von dem Gesetz zu viel verlangten. Implizit verwies er damit auf die anderen Stellschrauben im Wissenschaftssystem, die vor allem Petra Sitte und Stefanie Sonntag ansprachen und auch Insa Theesfeld aufzeigten: Eine generelle Unterfinanzierung der Hochschulen, Investitionsstau und eine fehlende Kontrolle darüber, ob vom Bund bereitgestellte Mittel aus dem „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ – wie eigentlich vorgesehen – auch für die Schaffung von Dauerstellen eingesetzt werden.
Moderator Nico Elste erinnerte daran, dass das 2007 eingeführte WissZeitVG ursprünglich dazu dienen sollte, die Qualifikationsphase wissenschaftlichen Personals vor dem Hintergrund gestiegener Anteile zeitlich begrenzter Drittmittelstellen im Hinblick auf Qualifikationsphasen wie der Dissertation gesondert zu regeln. Stefani Sonntag betonte mehrmals, dass der gesetzliche Rahmen von vielen Hochschulleitungen ausgenutzt würde. So werde das wissenschaftliche Personal unter Verweis auf angebliche oder tatsächliche Qualifizierungsanteile der Stellen mit kurzen Laufzeiten von durchschnittlich 22 Monaten befristet. Daraus resultiere nicht nur eine fehlende Planbarkeit von Karriere und Familie. Stefanie Sonntag zitierte auch eine Studie, die nahelegt, dass das WissZeitVG Auswirkungen auf die Struktur der Wissenschaft selber habe. Denn der gesetzliche Rahmen befördere Abhängigkeitsverhältnisse, in denen aus Angst vor der ausbleibenden Weiterbeschäftigung notwendige inhaltliche und persönliche Kritik durch die wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeitenden an Hochschulen oft ausbliebe. Grit Böhme ergänzte aus der Betroffenenperspektive: Durch die mit der Befristungspraxis verbundene hohe Fluktuation komme es häufig zu Wissensverlusten in Forschung und Lehre. Dies beeinträchtige die Effizienz des Wissenschaftssystems und der tertiären Bildung mitunter deutlich.
In der Novelle bleiben grundlegende Kritikpunkte, wie beispielsweise das Tarifverbot, zu kurze Mindestvertragszeiten sowie die fehlende Engführung der Definition des Qualifikationsbegriffes, unzureichend gelöst oder gar unangetastet. Den größten Aufreger stellte vor allem die Verkürzung der Post-Doc-Phase von sechs auf zwei Jahre dar. Im Nachgang kam es zu leichten Ausbesserungen, wie dem Vorschlag einer 4+2-Regelung. Zudem stellt die Bundesregierung für das kommende Frühjahr den Abschluss des Gesetzgebungsverfahren in Aussicht. Die Post-Doc-Phase sorgte darüber hinaus für viel Diskussionsstoff: Die GEW beharrte auf ihrer Forderung, die Habilitation nicht als weitere Form der Qualifikation zu verstehen. Somit würden auch die Befristungsgründe nach dem WissZeitVG wegfallen. Einige Diskutant*innen verwiesen in diesem Zusammenhang darauf, dass die Habilitation in anderen Ländern keine Rolle spiele.
Der Sprecher der Promovierendenvertretung, Alan van Keeken, nahm direkt zu Beginn seines kurzen Inputs die MLU und andere Hochschulen in die Verantwortung: Sie sollen die existierenden Spielräume bei der Ausgestaltung des Gesetzes nutzen. Vor diesem Hintergrund kritisierte er die zurzeit herrschende Praxis in Halle. So würden teilweise „Qualifikationsphasen“ wie Drittmittelprojekte ohne Promotionsanteile auf die Höchstbefristungsdauer angerechnet. Diese hängen jedoch nicht im engeren Sinne mit der Verfassung der Dissertation zusammen. Er mahnte ebenfalls an, dass die Universität ihre personellen sowie strukturellen Rahmenbedingungen verändern müsse, um mehr Dauerstellen zu schaffen. In der Diskussionsrunde wurden diesbezüglich mehrfach Stellenformate wie Lecturer, Senior Researcher oder Wissenschaftsmanager genannt sowie die Departement-Strukturen kritisiert. An anderer Stelle verwies unter anderem Petra Sitte auf das sogenannte Drittmittelpooling als Möglichkeit. Gemeint ist damit eine Art Mischfinanzierung: Dauerstellen werden dabei zum Teil durch Drittmittel und zum Teil durch Haushaltsmittel finanziert.