Betrug bei Abrechnung von Mehrzeiten?
Offener Brief der GEW Sachsen-Anhalt an Bildungsministerin Feußner
Der Landesvorstand der GEW Sachsen-Anhalt hat heute einen offenen Brief an Bildungsministerin Feußner gesendet. Anlass war die Aussage der Ministerin gegenüber der Volksstimme in der vergangenen Woche, dass Lehrkräfte bei der Abrechnung von Mehrzeiten betrügen würden.
Sehr geehrte Frau Ministerin Feußner,
wir wenden uns als Landesvorstand der GEW Sachsen-Anhalt an Sie.
Ihre jüngst von der Volkstimme – vielleicht übertrieben – wiedergegebenen Äußerungen, dass Schulen bzw. Lehrkräfte bei der Abrechnung von Mehrzeiten betrügen, ist ein Angriff auf die Integrität eines ganzen Berufsstandes. Wir weisen diese Unterstellung mit aller Deutlichkeit zurück!
Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt stemmen tagtäglich unter schwierigsten Bedingungen die Herausforderungen eines Bildungssystems, das seit Jahren unter Personalmangel, Überlastung und wachsendem Erwartungsdruck leidet. Sie halten den „Laden am Laufen“, opfern ihre Freizeit, übernehmen Vertretungen, springen ein, wo durch eine verfehlte Bildungspolitik die Unterrichtsversorgung am schlechtesten ist – und werden nun öffentlich diffamiert. Die Äußerungen in der Volksstimme sind vielleicht so nicht gewollt, werden aber durch das Ministerium billigend in Kauf genommen. Es bleibt im Raum stehen, dass Lehrkräfte betrügen. Das ist nicht nur respektlos, sondern auch gefährlich, denn es zerstört das Vertrauen in die Menschen, die unsere Kinder und Jugendlichen bilden und erziehen.
Wir stellen klar: Für die Abrechnung der Mehrzeiten sind die Schulleitungen verantwortlich, nicht die Lehrkräfte. Die gleichen Schulleitungen, die seit Jahren unter schwierigen Bedingungen Krisenmanagement betreiben statt Pädagogik zu gestalten und denen Anrechnungsstunden fehlen, damit die stetig wachsenden Aufgaben zu bewältigen sind.
Die von Ihnen benannten, möglicherweise fehlerhaften Zahlen stellen nur einen sehr geringen Anteil gegenüber den Abrechnungen dar, die korrekt und pünktlich beim Landesschulamt eingereicht, aber selbst nach einjähriger Wartezeit weder bearbeitet noch ausgezahlt wurden. Unter Umständen muss geprüft werden, ob nicht in den von Ihnen als fehlerhaft angegebenen Mehrstunden tatsächlich Arbeit für die Schule geleistet wurde, die Sie aber derzeit nicht als Arbeitszeit anerkennen.
Selbst im Bildungsministerium und im Landesschulamt herrscht dabei oft Uneinigkeit über die Auslegung und Abrechnung der Mehrzeiten. Anhängige Klagen vor den Verwaltungsgerichten bestätigen diesen Umstand. Hier sind dringend klare, faire und transparente Regelungen notwendig. Diese zu schaffen, ist Aufgabe des Schulamtes und des Ministeriums.
Besonders ärgerlich wirkt Ihre Aussage vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen:
In den jüngsten Erlassen zur Unterrichtsorganisation an allen Schulformen werden Kürzungen angekündigt, welche die ohnehin angespannte Situation an den Schulen weiter verschärfen. Anstatt die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Belastung der Lehrkräfte zu reduzieren, werden ihnen zusätzliche Stunden gestrichen, Förderangebote gekürzt und die Qualität der Bildung weiter gefährdet. Gleichzeitig werden die Kolleginnen und Kollegen öffentlich diskreditiert – das ist nicht hinnehmbar!
Hinzu kommt, dass die Heterogenität in der Schülerschaft stetig zunimmt. Lehrkräfte stehen heute vor der Herausforderung, Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen, Sprachkenntnissen, sozialen Hintergründen und Unterstützungsbedarfen in einer Klasse zu unterrichten. Inklusion, Integration, individuelle Förderung und Differenzierung sind längst Alltag geworden – und verlangen den Lehrkräften ein Höchstmaß an Engagement, Flexibilität und pädagogischer Kompetenz ab. Diese zunehmende Vielfalt bedeutet eine erhebliche Mehrbelastung für alle Beschäftigten in den Schulen. Insofern muss eher über weitere Anrechnungsstunden für die zusätzlich Arbeit nachgedacht werden.
Wir fordern Sie mit Nachdruck auf:
Stellen Sie die pauschale Unterstellung in der Presse deutlich klar. Zeigen Sie die Wertschätzung, die unsere Kolleginnen und Kollegen verdienen, und stellen Sie sich an die Seite derer, die tagtäglich das Rückgrat unseres Bildungssystems bilden. Leiten Sie Maßnahmen ein, um die tatsächliche Arbeitszeit der Lehrkräfte zu ermitteln und installieren sie die notwendigen Instrumente, um diese Arbeitszeit auch verlässlich zu messen.
Wir wollen es nicht hinnehmen, dass die engagierte Arbeit der Lehrkräfte durch solche missverständlichen Aussagen und durch Kürzungen weiter entwertet wird.
Die GEW Sachsen-Anhalt steht geschlossen hinter allen Kolleginnen und Kollegen und wird sich weiterhin mit aller Kraft für ihre Rechte, ihre Anerkennung und ihre Entlastung einsetzen.
Eva Gerth
für den Landesvorstand der GEW Sachsen-Anhalt
39114 Magdeburg
06108 Halle (Saale)