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Landesvorsitzende zum Schuljahresbeginn

Anfangszauber und Umsetzungsfrust

GEW-Landesvorsitzende Eva Gerth äußert sich kurz vor Beginn des neuen Schuljahres über die derzeitige Situation im Schulsystem. Die Politik muss schnell Maßnahmen ergreifen, um Lehrkräfte zufriedenzustellen und für Kinder und Jugendliche Chancengleichheit zu schaffen.

Foto: Kay Herschelmann

Das neue Schuljahr hat begonnen und die Suche nach dem Zauber, der nach Hermann Hesse jedem Anfang innewohnt, kann beginnen. Denn bei allen Schwierigkeiten, in denen die Schulen derzeit stecken, bei allen Belastungssituationen, bei allem Frust, Ärger und Personalmangel, das erste Mal nach den Sommerferien vor einer bekannten oder neuen Klasse zu stehen, verursacht ein Kribbeln im Bauch. Allen Lehrkräften, Pädagogischen Mitarbeiter*innen, Schulsozialarbeiter*innen und Schulleitungen sei ganz herzlich ein Stück vom „Zauber“ gewünscht, bevor uns alle der Alltag einholt.

Wie Schule aussehen müsste, damit viele gern jeden Morgen aufstehen und hingehen, diese Frage wird sicherlich von Schüler*innen, pädagogischem Personal und Eltern unterschiedlich beantwortet. Mehr Zeit füreinander zu haben, steht aber bei allen weit oben auf der Agenda.
 

Zeit für pädagogische Arbeit

Die Vorschläge der GEW liegen auf dem Tisch, sie sind durch bisherige Arbeitszeituntersuchungen aus Niedersachsen und Hessen begründet. Danach sind die bisherigen Belastungen zu hoch, die Pflichtstundenzahl muss endlich gesenkt werden. Viele Kolleg*innen wechseln in Teilzeit, um die Arbeit schaffen zu können. Neue Aufgaben werden von den Schulen verlangt, ohne durch Anrechnungsstunden untersetzt zu werden. Die neuen, allseits diskutierten Unterrichtsmodelle sind nur ein Beispiel dafür.

In den Schulen muss man jedoch intensiver darüber nachdenken. Ist dieses Modell für uns als Schule und für unsere Schüler*innen geeignet? Wer erstellt das Konzept? Wie kann die organisatorische Umsetzung erfolgen? Mit wem muss eine Neuregelung abgestimmt werden? Was sagt das Kollegium, was der Personalrat? Ist der Elternrat dafür? Zeit für diese und andere pädagogische und rechtliche Fragen bzw. Absprachen gibt es nicht in unseren Schulen. Wir haben ja Lehrkräftemangel, was offensichtlich als Totschlagargument für jede Arbeitszeitfrage taugt.

Dabei hatte sich sogar die CDU vor der Landtagswahl nach umfangreichen und intensiven Diskussionen, die „Schulfrieden-Gespräche“ genannt wurden, verpflichtet, „eine Analyse zur Verwendung von pädagogischem Arbeitsvolumen vorzulegen“ und „nach dem Vorbild der Niedersächsischen Arbeitszeitkommission und auf der Grundlage von Arbeitszeituntersuchungen […] nach den Landtagswahlen Gespräche mit den Gewerkschaften aufzunehmen, um eine realistische Bewertung der Arbeitszeit von Lehrkräften zu ermöglichen.“ Es wird Zeit, sich daran zu erinnern und mit der GEW das Thema zu besprechen und vor allem Konsequenzen zu ziehen!
 

Bildungsgerechtigkeit sichern

Nein, es gibt keine Bildungsgerechtigkeit im Land Sachsen-Anhalt. Die Unterschiede in der Unterrichtsversorgung an Gymnasien und Sekundarschulen sind ungeheuer groß. Die Folgen sind dramatisch: An Sekundarschulen gibt es weniger Unterricht, Übergänge zu anderen Schulformen sind nicht gewährleistet, die sowieso schon gekürzte Stundentafel wird nicht erfüllt, individuelle Förderung ist kaum möglich und es wird laut über eine 4-Tage-Woche nachgedacht. An Sekundarschulen dürfen geringer qualifizierte Seiteneinsteigende unterrichten, denen bisher keine dauerhafte Perspektive im Schuldienst eröffnet wird. Hier haben wir bundesweit die meisten Schulabbrecher*innen. Und selbst da, wo sich Lehrkräfte und Schulleitungen auf den Weg zu mehr Chancengleichheit gemacht haben, nämlich in den Gemeinschaftsschulen, die „ihre Kinder“ bis zum Abitur unterrichten wollen, wird durch das Schulamt sehr konsequent durchgegriffen, wenn vorgeschriebene Schüler*innenzahlen nicht erreicht werden. Es wäre ja auch eine zu schöne Vorstellung von Schule, die Absolvent*innen – von dem/der Hauptschüler*in bis zum/zur Abiturient*in – am Schuljahresende gemeinsam aus der Schule zu verabschieden, jede und jeder nach ihren und seinen Möglichkeiten. Gemeinschaftsschulen haben das geschafft.

In diesen Schulformen, in Sekundar- und Gemeinschaftsschulen, muss staatliche Förderung ansetzen, sie müssen die personellen und sächlichen Ressourcen zuerst bekommen! Diese Schulformen müssen so attraktiv gemacht werden, dass sich Eltern dort keine Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machen müssen, selbst wenn am fünften Tag tatsächlich digital unterrichtet wird oder Unterricht außerhalb der Schule stattfindet. Die Versäumnisse liegen ganz ausdrücklich bei der Politik, die Lehrkräfte sind am Limit mit ihrem Engagement!
 

Beteiligung gewährleisten

Um einen Hauch von Anfangszauber für alle Beteiligten wirksam werden zu lassen, ist Mitsprache essentiell. Das macht einen Arbeitsplatz attraktiv. Nicht die Schulleitung entscheidet über neue Modelle, sondern die Schulgemeinschaft. Nicht die nackten Zahlen sind verantwortlich, dass die künftigen Abiturient*innen von den Gemeinschaftsschule zu den Gymnasien geschickt werden, sondern das Landesschulamt ringt mit allen Beteiligten auf Augenhöhe um die beste Lösung. Nicht der Finanzminister allein verfügt die Einstellung von nur 50 Schulverwaltungsassistent*innen im Land, sondern das Bildungsministerium kämpft – vielleicht sogar gemeinsam mit den Gewerkschaften – für die Entlastung aller Schulen durch weitere Mitarbeiter*innen. Mitsprache schafft Vertrauen und vielleicht weiteres Engagement. Einen Versuch ist es wert.

Derzeit wird gemunkelt, dass in ministeriellen Kreisen möglicherweise doch über freiwillige Arbeitszeitkonten nachgedacht wird. So wichtig es ist, dass GEW-Vorschläge aufgegriffen werden, das Bildungsministerium ist in der Lage, gute Ideen schlecht umzusetzen. Mehr zu leisten und dem Dienstherrn einen Arbeitszeitkredit einzuräumen, das ist auf jeden Fall ein Entgegenkommen der Beschäftigten. Dafür können diese erwarten, dass der Dienstherr dieses Entgegenkommen durch Verträge absichert! Weiterhin müssen sie sich darauf verlassen können, dass die Konten wertgleich zurückgegeben werden. Das schließt eine Erhöhung der Pflichtstunden für die Laufzeit der Konten aus. Die GEW fordert die Landesregierung auf, Fragen, die die Arbeitsbedingungen der Tarifbeschäftigten und Beamt*innen berühren, mit ihr zu verhandeln!
 

Schnelle Maßnahmen einleiten

Als die Nachricht kam, dass es 200 zusätzliche Plätze für Lehramtsstudierende an der Uni Halle geben soll, war die erste Reaktion Freude, natürlich. Die Ernüchterung folgte schnell. Warum gibt es diese Zielvereinbarung mit der Uni erst jetzt, mindestens vier Jahre zu spät? Der Expertenbericht, der diese Maßnahmen einfordert, ist von 2018.

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sieht Sachsen-Anhalt bei der Umsetzung der Digitalisierung, beim schnellen Internet an Schulen im Ranking weit hinten. Die Notwendigkeit der Digitalisierung ist allen klar, warum werden hier nicht Prioritäten gesetzt? Es gibt immer noch keine flächendeckende Administration der Laptops für Lehrkräfte. Kümmert euch selbst, das scheint die Erwartung unserer Arbeitgeber zu sein – noch eine dieser zusätzlichen Aufgaben.

Die Bezahlung von Grundschullehrkräften mit der A 13/E 13 fordert die GEW seit vielen Jahren. Im Juli dieses Jahres gab es die Meldung, dass die Bildungsministerin über eine Umsetzung nachdenkt. Handelt es sich nur um eine Sommerloch-Ente?

Ähnliches gilt für Arbeitszeitkonten, für Schulsozialarbeit und für Schulverwaltungsassistent*innen. Der Lehrerhauptpersonalrat hat vor ca. einem halben Jahr einen Präventionstag für die Schulen erkämpft. Es geht um einen Tag in der Schulzeit, an dem die Beschäftigten an Schulen gemeinschaftlich über ihre eigene Gesunderhaltung im Job nachdenken können, was dem Dienstherrn am Herzen liegen sollte und auf jeden Fall nützt. Zu Beginn der Vorbereitungswoche war der entsprechende Erlass angekündigt, lag aber den Schulen noch nicht vor. Über Luftfilter zur Corona-Prävention wurde lange diskutiert. Es gibt bisher kaum welche an unseren Schulen.

Die GEW kritisiert, dass zu viele dringend notwendige Maßnahmen, die den Beschäftigten zu Gute kommen könnten, zu lange dauern oder gar nicht durchgeführt werden. Die Beschäftigten an Schulen sind Improvisationen, Übergangslösungen und Sonntagsreden über die Bedeutung von Bildung gewohnt, motivierend ist das alles nicht. Der Zauber, der jedem Anfang innewohnt, verfliegt schnell, wenn das neue Schuljahr so beginnt, wie das alte zu Ende gegangen ist.