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Kita-Notstand

„Den Laden irgendwie am Laufen halten ...“

Das Recherchezentrum CORRECTIV aus Essen hat bereits mehrfach durch Aufdeckung politischer Skandale auf sich aufmerksam gemacht. Unter anderem beim Cum-Ex-Steuerbetrug und zuletzt mit dem Bericht über ein Treffen rechtsextremer Kreise in Potsdam. Nun liegt eine Recherche zum Kita-Notstand vor, welche die Studie der Bertelsmann Stiftung auf fatale Weise ergänzt und ein noch düstereres Bild von der deutschen Kita-Landschaft zeichnet. Das System kollabiert.

In mehr als 26.000 Fällen haben Kitas im vergangenen Jahr den örtlichen Jugendämtern oder den Landesjugendämtern eklatanten Personalmangel melden müssen, der zur Kindeswohlgefährdung oder zu außerplanmäßigen Schließungen von Gruppen oder ganzen Kitas führte. Dies sei aber nur die Spitze des Eisberges, denn in weitaus mehr Fällen wird der Notstand nicht gemeldet und die Einrichtungen versuchen, „den Laden irgendwie am Laufen“ zu halten. Die Folgen in beiden Szenarien sind für Kinder, Eltern und das dort arbeitende Personal katastrophal.

Wenn Kitas außerplanmäßig Gruppen schließen oder vorübergehend ganz dicht machen, ist das Horror für viele Eltern. Wer im Homeoffice arbeiten kann, lässt seine Kinder zu Hause, kommt dann aber unter der Woche kaum zum Arbeiten und muss auf die Nacht ausweichen bzw. alles Liegengebliebene an den Wochenenden erledigen. Das funktioniert eventuell bei Paaren, aber Alleinerziehende dürften sich komplett im Stich gelassen fühlen. Und was ist mit Eltern, die im Supermarkt an der Kasse sitzen, auf dem Bau arbeiten oder in der Gastronomie oder einfach aus der Firma oder dem Amt nicht wegkönnen? Die suchen sich, wenn sie Glück und Geld haben, eine private Betreuung. Wer das nicht hat, muss seinen Urlaub in Anspruch nehmen und riskiert im schlimmsten Falle die Kündigung. Und wenn Kinder nicht in die Kita dürfen, weil die geschlossen ist, kommt es nicht selten vor, dass sie traurig, unausgeglichen und manchmal sogar aggressiv werden.

Die andere Variante ist genau so katastrophal: In den Einrichtungen werden Gruppen zusammengelegt oder Kita-Leiter*innen sind ständig selbst mit in der Gruppe tätig und müssen ihre Leitungstätigkeit vor der Öffnung oder nach der Schließung erledigen. Das ist Selbstausbeutung! Die Erzieher*innen kommen in den dann viel zu großen Gruppen weder zum Essen noch zum Trinken. Oftmals fehlt sogar die Zeit für die Toilette. Hinzu kommt die ständige Angst, Dinge zu übersehen, die nicht übersehen werden dürfen. Passiert es dann doch, gibt es Abmahnungen und schlimmstenfalls die Kündigung. Ganz viele sind mit ihren Kräften am Ende. Obwohl Erzieherin oder Erzieher mal der Traumberuf war, will jede*r zehnte raus aus dem Job. Viele rutschen schon nach wenigen Dienstjahren in den Burnout. Azubis werden oft allein in Gruppen geschickt und sind dann den ganzen Tag überfordert. Manche schmeißen unter diesen Umständen die Ausbildung hin. So haben sie sich den „Traumberuf“ nämlich nicht vorgestellt. Kinder werden bestenfalls verwahrt, aber nicht mehr gebildet und gefördert. Besonders schlimm trifft es Kinder mit Beeinträchtigungen. Die gehen dann völlig unter. Manche erhalten auch gar keinen Kita-Platz oder dürfen nur verkürzt in der Kita bleiben.

Heutzutage Erzieher*in zu sein, heißt, in einem Beruf zu arbeiten, der krank macht. Dies triff nach Angaben von Erzieher*innen selbst auf mindestens 20 Prozent von ihnen zu. Ein Infekt löst den nächsten ab, Panikattacken treten auf oder Rückenschmerzen etc. Wer Glück hat, findet eine psychologische Betreuung. Das Schlimmste aber ist, dass sich manche Erzieher*innen durch die permanente Überlastung nicht mehr selber im Griff haben. Somit kann es zu verbaler und manchmal auch zu physischer Gewalt gegen Kinder kommen.

Es scheint so, als gäbe es aus der unsäglichen Personalnot keinen Ausweg. Monatelang ausgeschriebene Stellen bleiben unbesetzt, Kita-Leitungen suchen oft selbst nach qualifiziertem Personal. Aus Verzweiflung werden dann auch Bewerber*innen eingestellt, die eigentlich nicht oder wenig geeignet sind. Dies löst natürlich das Personalproblem nur augenscheinlich. Für die Kinder bleibt die Situation auf jeden Fall unbefriedigend.

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Redaktion der Landeszeitung Sachsen-Anhalt
Leitung: Christiane Rex