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Lehrkräftemangel an Grundschulen wird noch lange bleiben

Es ist so eine Sache mit deutschlandweiten Studien. Die Kernaussagen berücksichtigen kaum noch die Unterschiede zwischen Ost und West. Warum auch? Die Wiedervereinigung liegt doch schon lange zurück. Trotzdem wirken vereinigungsbedingte Unterschiede aber bis heute nach.

Die Bertelsmann-Stiftung rechnet damit, dass durch den Geburtenrückgang, der deutschlandweit zu beobachten ist, bald mehr Lehrkräfte an Grundschulen zur Verfügung stehen als gebraucht werden. Diese Prognose ist für Sachsen-Anhalt nicht zutreffend und würde ein völlig falsches Signal an zukünftige Lehramtsstudierende senden. Ja, auch in Sachsen-Anhalt wird mit Geburtenrückgang gerechnet. Aber die Lehrkräftealtersstruktur an den Grundschulen ist im Osten noch eine ganz andere als im Westen.

Durch den Geburteneinbruch nach der Wende sind in Sachsen-Anhalt viele Jahre an Grundschulen überhaupt keine Lehrkräfte eingestellt worden. Auch durch den Stundenaufwuchs auf 27 Pflichtstunden gab es einen sehr großen Lehrkräfteüberhang. Die Älteren unter uns erinnern sich ganz sicher an den Arbeitsplatzsicherungstarifvertrag, den unsere GEW mit der Landesregierung damals abschließen musste. Der Beschäftigungsumfang wurde zeitweise um 20 Prozent abgesenkt, was erhebliche Gehaltseinbußen mit sich brachte. Aber es wurden alle Arbeitsplätze erhalten. Das war damals eine riesige solidarische Leistung, um die uns andere Branchen beneideten. Allerdings hat dies auch zur Folge, dass wir jetzt, rund 30 Jahre später, sehr viel ältere Lehrerinnen und Lehrer haben, die nach und nach aus dem Berufsleben ausscheiden und große Personallücken hinterlassen.

Der Ausscheidungstrend wird leider auch noch durch die Einführung der sogenannten Vorgriffstunde verstärkt. Immer mehr Lehrkräfte wollen so schnell als möglich den Schuldienst in Richtung Rente verlassen, weil sie die Belastung jetzt an den Rand des Erträglichen bringt. Wer es sich irgendwie leisten kann, geht mit 63.  Somit wird die Personallücke noch größer und es wird noch sehr lange dauern, bis die hier in Sachsen-Anhalt geschlossen ist. Und sollten wir irgendwann in den Augen des Bildungsministeriums mal „zu viel Lehrkräfte“ an   den Grundschulen haben, wird die GEW noch stärker als bisher darauf drängen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Es hat in den letzten 15 Jahren einen ständigen Aufwuchs an Aufgaben gegeben, ohne dass für ein Äquivalent an Entlastung gesorgt wurde. Alle möglichen Aufgaben werden ohne oder mit zu wenig Anrechnungen erledigt.  Man denke nur an die Mentor*innen für Seiteneinsteigende oder für die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst.   Außerdem brauchen wir dringend Stunden für individuelle Förderung, denn die Unterschiede der Kinder werden zu immer größeren Herausforderungen. Und dass Inklusion zum Nulltarif funktioniert, glaubt nach den vielen Misserfolgen wohl nicht mal mehr der Finanzminister.

 Da gilt es, aus der Bullerjahn-Zeit die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Gerade dieser ehemalige Finanzminister hatte die deutschlandweite Gültigkeit von Studien total überschätzt. Durchschnittsdenken hat uns sehr geschadet. Jeder Bauer weiß: „Der Fluss ist im Durchschnitt nur 60 cm tief, trotzdem wird die Kuh ersaufen!“  Diese alte Weisheit müssen wir auch jetzt beherzigen. Wir brauchen auf lange Sicht neue Grundschullehrer*innen, egal wie der Durchschnitt ist.