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GEW-Mitglieder im Fokus

Prof. Dr. Michael Ritter: „Lieber gut als richtig“

Der hallesche Uni-Professor Michael Ritter will Bedrängung und Gängelei durch beschränkende und starre bürokratische Regelungen die Stirn bieten. In seiner täglichen Arbeit – und im März ganz prominent im Rahmen eines großen Fachkongresses – betreibt er das „Nachdenken über die Praxis“.

Wenn einer von sich erzählt, dass er „als Abiturient nie wieder eine Schule betreten wollte“, und heute Germanistikprofessor ist, dann steht natürlich sofort die Frage im Raum, wie es zu diesem Sinneswandel gekommen ist. „Ich glaube, es hat damit zu tun, dass ich während meines Studiums fürs Lehramt an Grundschulen, das ich eher aus privaten Gründen als aus einer inneren Überzeugung heraus antrat, richtiggehend ,wachgeküsst‘ worden bin, indem ich viele Aha-Momente hatte: Eva Maria Kohl, meine damalige Professorin und Vorgängerin auf meiner heutigen Position, hat mir einfach etwas zugetraut und mich machen lassen“, berichtet Michael Ritter, der seit 2015 Professor für „Grundschuldidaktik Deutsch/Ästhetische Bildung“ an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg ist. Das Selbstbild, das er nach zwölf Jahren Schule von sich hatte, habe sich während des Studiums in Halle dramatisch verändert und ihm in gewisser Weise auch sein „Lebensthema“ geliefert – das Nachdenken darüber, wie Schule ist und wie sie sein könnte. „Da geht es nicht bloß um Fähigkeiten und Kognition, sondern zentral auch um den Punkt Selbstkonzept“, sagt der aus dem Mansfeldischen stammende und heute auch wieder dort wohnende Pädagoge.

Vom 10. bis 13. März wird Michael Ritter einer der Tagungsleiter für den in Halle stattfindenden 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) mit knapp 2.000 Teilnehmer*innen sein. Der Fachverband der in Forschung und Lehre an Hochschulen tätigen Erziehungswissenschaftler*innen wird unter dem Leitthema „Krisen und Transformationen“ reflektieren, hinterfragen und diskutieren, welche Bedeutung der Verlust von Selbstverständlichkeiten und die damit einhergehenden Forderungen, Wünsche und Bedürfnisse nach Transformation für erziehungswissenschaftliche Perspektiven haben.

„Nachdenken über die Praxis, und zwar durchaus auch in Distanz, freilich nicht ohne Bezug zur Praxis“ – so beschreibt Michael Ritter seine Tätigkeit, die seiner festen Überzeugung nach „nicht immer unmittelbar praxisverwertbar, aber stets praxisrelevant“ sein müsse. „Und sowohl Theoretiker als auch Praktiker sollten immer wieder ins Gespräch miteinander kommen, nicht bloß aus ihren jeweiligen ,Blasen‘ heraus schimpfen“, betont er.

Wenngleich er mit Leidenschaft Grundlagenforschung betreibt, habe er die Verbindung zur praktischen Basisarbeit nie verloren, sagt der 43-Jährige, der sich beispielsweise bei der alle 14 Tage in den Franckeschen Stiftungen stattfinden Arbeitsgemeinschaft „Schreibspielwiese“, in deren Rahmen Grundschüler*innen zum spielerisch-experimentierenden und entdeckenden Umgang mit Schriftsprache angeregt werden, einbrachte und bis heute in der bei der GEW angesiedelten Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien (AJuM) engagiert. Auch wenn seine Ehefrau und Fachkollegin Alexandra Ritter dort den Hut aufhabe und er „schlicht einfaches Mitglied“ sei, stelle die AJuM für ihn persönlich das zentrale Verbindungsglied zur Arbeit der Gewerkschaft dar. Aus einem konservativen Umfeld kommend, was, wie er sagt, in gewisser Weise bis heute nachhalle, betrachtet sich Michael Ritter als einen Menschen, der sich in den zurückliegenden Jahren politisch sehr entwickelt habe. Und der sich heute als „links und woke im ursprünglich gemeinten Sinn von wach und aufmerksam“ wahrnimmt. „Ich bin nicht allein ein sehr bewusster GEW-ler geworden, sondern versuche in meinem eigenen unmittelbaren Einflussbereich auch genau das zu leben und vorzuleben, was ich vertrete: Also etwa mit Blick auf meine Kolleginnen und Kollegen für ein solches Arbeitsumfeld zu sorgen, dass wir einander zugewandt und auf Augenhöhe begegnen und niemand zu Schaden kommt“, so Ritter, der sich übrigens nicht zu fein ist, im Vorfeld des DGfE-Kongresses beim Abwaschen von 2.000 Kaffeetassen für die Tagungsteilnehmer*innen mit anzupacken: „Es gibt doch gar keinen Grund, warum das Sekretärinnen und Hilfskräfte allein erledigen sollten“, meint er nur.

Mit Blick auf manche Bedrängung und Gängelei durch engstirnige und starre bürokratische Regelungen hat Michael Ritter für sich das Credo formuliert, die Dinge „lieber gut als richtig“ machen zu wollen und trägt diesen Gedanken gern weiter, auch an seine Mitstreiter*innen in der GEW. „Gewerkschaft ist gerade jetzt wichtig. Die Zeiten, in denen wir uns zurücklehnen und auf einen guten Ausgang der Geschichte vertrauen konnten, sind definitiv vorbei. Wir müssen um die Gesellschaft kämpfen – und dafür, dass dieser Kampf zivilisiert und nicht ausschließlich auf der Straße und an den Stammtischen geführt wird, kann eben auch die GEW einen wichtigen Beitrag leisten“, unterstreicht er.

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