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Schulpolitik

Schulnoten: Ja oder Nein?

In der Schule entwickeln die Schülerinnen und Schüler Fähigkeiten und Fertigkeiten, die an bestimmten Stellen gemessen werden. Mit dieser Messung erhalten die Schüler*innen, aber auch Lehrkräfte und Eltern eine Rückmeldung über den Leistungsstand. Doch sind Schulnoten die richtigen Instrumente für das Messen von schulischen Leistungen?

Argumente für ein Leben ohne Zensuren

von Ingo Doßmann, Mitglied des GEW Landesvorstandes für den Bereich Schule

 

Noten spiegeln den Leistungsstand nicht ausgewogen wider.

Bei der Leistungsbewertung kann in keiner Weise erfasst werden, welche Bedingungen in genau dem Moment zusätzlich einwirkten: der Streit mit der besten Freundin, Sorgen um Familienangehörige oder einfach der erste Schnee oder ein Schmetterling am Fenster. Bleiben diese Ablenkungen einmalig, sind sie im Laufe eines Schuljahres zumindest dort korrigierbar, wo Unterricht in ausreichendem Maße stattfindet und sich die Zeugnisnote nicht aus nur wenigen Einzelnoten zusammensetzt. Gerade angesichts der zunehmend schlechter werdenden Unterrichtsversorgung kann aber genau das oft nicht mehr gewährleistet werden. 

 

Noten können demotivieren.

Noten motivieren nur dort, wo sie als überwiegend positive Rückmeldung erfolgen. Was aber ist mit den Kindern und Jugendlichen, die mit großem Fleiß in einem Teilbereich durchaus Erfolge erzielen, durch Schwächen in vielen anderen Bereichen aber dennoch nicht in der Lage sind, das in Zahlen messbare Ergebnis zu verbessern? Wirken Noten dort nicht eher demotivierend?

 

Noten gewährleisten keine Vergleichbarkeit von Leistungen.

Der Gedanke, dass mit der perfekten Einordnung in ein Zahlensystem, am besten gekoppelt an gleiche Aufgabenstellungen, eine Vergleichbarkeit der Leistungen von Kindern und Jugendlichen ermöglicht werden kann, ist so alt wie verlockend. Doch zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeigen, dass diese Vorstellung trügt. Bewertungsmaßstäbe an einzelnen Schulen und zwischen einzelnen Lehrkräften sind unterschiedlich und wirken sich auf die Notengebung aus. Der Schein der Vergleichbarkeit trügt.

 

Alternative Formen der Leistungsbewertung geben konkretere Rückmeldungen.

Gegenwärtig werden bereits alternative Formen der Leistungsbewertung genutzt. Bis zum Halbjahr der 2. Klasse kann die Lehrkraft auf Ziffernnoten verzichten. Dafür wird ein Lernentwicklungsbericht erstellt, der die wichtigsten Kompetenzen im Lern- und Sozialverhalten sowie in Deutsch und Mathematik dokumentiert. Die Ergebnisse werden in einem Elterngespräch besprochen.

Darüber hinaus werden als alternative Modelle oft Kompetenzraster eingesetzt. Es kommen aber auch Selbsteinschätzungsböge zur Anwendung. Ein praktikabler Weg ist auch die verstärkte Einbeziehung prozessorientierter Leistungen – z. B. eine Aufgabenstellung über einen längeren Zeitraum mit Präsentation in der Klasse, deren Bewertung mit der Klassenarbeit zusammengeführt wird. Damit wird eine einseitige Bewertung auf punktuellem Wissen vermieden. So ist Leistungsbewertung facettenreicher und umfasst neben kognitiven auch handlungsorientierte, produktive, soziale, kreative, kommunikative und entwicklungsbezogene Aspekte. Im Mittelpunkt dabei stehen die zu erwerbenden Kompetenzen und Lernhandlungen.

 

Das „Lernen für einen Test“ oder das sogenannte „BulimieLernen“ werden dabei bewusst zurückgedrängt.

Mit Sicherheit kann jedoch eine gesellschaftlich fest etablierte Tradition in Schulen, nämlich die Notengebung, nicht von heute auf morgen verändert werden. Dazu ist mehr erforderlich. Lehrkräfte brauchen vor allem Zeit, um sich wirklich auf Alternativen – die in vielen Fällen aufwändiger sind – einlassen zu können. Eltern, die bewusst oder unbewusst ihre Kinder unter Druck setzen, um ihnen einen guten Start ins Berufsleben zu ermöglichen, brauchen den Mut zum Umdenken und auch Aufklärung durch die Schule. Möglich sollte es aber sein, mehr Freiräume zuzulassen, um zumindest punktuell Alternativen zu testen. Vor allem aber sind politische Entscheidungen notwendig, die von starren Vorgaben z. B. zur „Wertigkeit“ von Klassen- und Vergleichsarbeiten wegführen, für die die Voraussetzungen so unterschiedlich sind, dass sie den Namen „Vergleich“ nicht einmal ansatzweise verdienen.

 

Wie denkst du über Schulnoten? Sind sie deiner Meinung nach sinnvoll oder eher hinderlich?
Sende uns deine Meinung als Leserbrief per Mail an redaktion(at)gew-lsa(dot)de.

 

Argumente gegen ein Leben ohne Schulnoten

von Kerstin Hinz, stellvertretende Landesvorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt und ebenfalls im Vorstandsteam Schule

 

Noten sind seit Jahrzehnten das klassische Instrument der Leistungsmessung.

Leistungen in Schule und Gesellschaft werden ständig gemessen. Seit Generationen werden schulische Leistungen dabei im Notensystem verglichen. Großeltern, Eltern und Kinder können damit etwas anfangen. Jede*r am Prozess Beteiligte kann diese Leistungen einordnen. Noten sind dem privaten und zukünftigen beruflichen Umfeld geläufig. Mit ihnen wird ein bestimmtes Lernvermögen und ein bestimmter Wissensstand verknüpft.

 

Noten geben eine Orientierung.

Mit der Erteilung einer Note können Schüler*innen schnell einschätzen, auf welchem Leistungsstand sie sind. Alle Beteiligten erkennen, wo es Fortschritte gegeben hat und wo Defizite liegen. Noten drücken den Leistungsstand klarer aus, als es Berichte über das Leistungsvermögen ausdrücken können, weil man sich au eine Zahl konzentrieren kann und nicht in die Feinheiten eines Textes eindringen muss.

 

Noten bereiten auf das Leben in der Gesellschaft vor.

Noten sind ein wichtiges Kriterium beim Übergang in die weiterführenden Schulformen nach Klasse 4 und später dann für den Übertritt in die Arbeits- und Studienwelt. Noten bilden die Grundlage der Abschlusszeugnisse in der Schule und beim Numerus clausus die Hürde zum Erreichen bestimmter Studiengänge.

Ausbildungsverantwortliche können ihre Azubis aufgrund von Ziffernnoten einschätzen und Auswahlentscheidungen nach der Schule bzw. der Ausbildung sind nachvollziehbar begründbar. Damit sind Noten ein Element der Auslese von Schüler*innen für Schulformen und ein Hilfsinstrument bei der Berufsfindung. Es gibt eine Studie (Trapmann et al. Die Validität von Schulnoten zur Vorhersage des Studienerfolgs – eine Metaanalyse, 2007), die den Zusammenhang zwischen den Abiturnoten und dem Studienerfolg wissenschaftlich untersucht hat und zu dem Ergebnis kommt, dass es diesen Zusammenhang gibt: Wer gute Schulnoten hat, hat auch Chancen auf gute Noten im Studium.

 

Das Messen in Noten ist zeitsparend und effektiv.

Alternative Bewertungsmethoden sind aufwändiger und sowohl Schüler*innen als auch Eltern schwerer zu erklären. Sie passen auch nicht für jede kurze Leistungserhebung.

Kontakt
Ingo Doßmann
Vorstandsmitglied für Allgemeinbildende Schulen
Kontakt
Kerstin Hinz
Vorstandsmitglied für Allgemeinbildende Schulen