Reaktionen auf den "Bildungsgipfel"
Unverständnis, Wut, Enttäuschung, ...
Nach dem „Bildungsgipfel“ erreichten die GEW Sachsen-Anhalt und die Redaktion der EuW diverse Zuschriften. Unsere Mitglieder haben in verschiedenen Statements vor allem ihren Unmut über die von der Landesregierung angeordneten Mehrstunden ausgedrückt.
Dieser Bildungsgipfel ist der Gipfel!
Die Lehrerinnen und Lehrer sollen noch eine Stunde mehr arbeiten und den Grundschulkollegen winkt dann endlich die A 13/ E 13. Dazu kam mir sofort das Bild eines Esels vor Augen, der unter seiner Last zusammengebrochen ist, dem man jedoch noch einen zentnerschweren Sack auf den Rücken packt und ihn mit zwei statt einer Möhre zum Aufstehen und Weiterlaufen bewegen will. So jedenfalls fühle ich mich nach 36 Jahren Schuldienst. Welch fatales Signal sendet unsere Landesregierung da aus! Vor allem von unserer Bildungsministerin, die selbst als Lehrerin gearbeitet hat, habe ich mir andere Maßnahmen erhofft. Und dann schreibt Jens Schmidt in der „Volksstimme“ auch noch in seinem Kommentar, dass die Mehrarbeit zumutbar, weil ja vergütet, wäre. Herr Schmidt, haben Sie schon einmal als Lehrer gearbeitet? Können Sie einschätzen, was zumutbar ist oder nicht? Ich jedenfalls würde mir nicht anmaßen, über Ihre Arbeitsbelastung zu urteilen. Den meisten meiner Kolleginnen und Kollegen geht es nicht um mehr Geld, sondern um bessere Arbeitsbedingungen. Mit Geld kann ich mir nämlich nicht neue Nerven kaufen, die ich für diesen Beruf ganz besonders brauche. Ich bin jetzt anderthalb Jahre krankgeschrieben, habe zum dritten Mal ein sogenanntes Burnout und werde nicht mehr in den Lehrerberuf zurückkehren (können). Aber selbst das interessiert meinen Arbeitgeber nicht. Und auch da zeigt sich, wie hier in Sachsen-Anhalt mit Lehrern und Lehrerinnen umgegangen wird. Hut ab vor allen, die trotzdem diesen Beruf weiter ausüben, denn eigentlich ist er einer der schönsten und wichtigsten ...
Irina H.
Diskussion über die Stundenerhöhung
Die Ankündigung zur Stundenerhöhung bei den Lehrkräften in der heutigen „Volksstimme“ [20.01.2023] hat in unserem Lehrerzimmer für einige Diskussionen gesorgt. Eine Erhöhung der Entgelte für die Grundschullehrer*innen ist toll und wir wissen auch, dass etwas gegen den Lehrermangel getan werden muss, haben aber den Eindruck, dass vieles zu Lasten der älteren Kollegen geht.
Evelyn G.
Die Rechnung geht nicht auf!
Der Bildungsgipfel brachte wahrhaft den Durchbruch: Eine Pflichtstunde mehr pro Woche! Wahrscheinlich war das sogar ein Kompromiss und Frau Feußner liebäugelte mit zwei Stunden. Man weiß es nicht … Damit sollen rund 500 Lehrerstellen quasi ausgeglichen werden. Immerhin soll diese Stunde bezahlt oder später gegengerechnet werden. Nun ja, das gab es bei den zuletzt durchgesetzten Stundenerhöhungen von zwei Stunden für die 60- bis 62-Jährigen nicht. Aber auch schon diese Rechnung ging nicht auf, denn sie trieb Lehrerinnen und Lehrer in den vorzeitigen Ruhestand. Auch diese Stundenerhöhung wird sich wieder als kontraproduktiv erweisen. Herr Haseloff betonte, dass wir nun endlich in der Pflichtstundenzahl mit den anderen Bundesländern gleichziehen. Das sehen die 60- bis 62-Jährigen anders, denn sie unterrichten ja dann drei Stunden mehr als in der Vergangenheit. Und aus einem weiteren Grund kann der Vergleich mit anderen Bundesländern nur hinken. In anderen Bundesländern werden für außerunterrichtliche Tätigkeiten Anrechnungsstunden zur Verfügung gestellt, die bei uns leider zum normalen Schulalltag gehören. Ebenso ist es doch auch mit den Abminderungsstunden ab einem gewissen Alter. Ich hoffe, dass der Bildungsgipfel diesen Vergleich nicht scheut, denn dann sieht die Statistik mit Sicherheit anders aus.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass die oben genannte Zahl von 500 eingesparten Lehrerinnen und Lehrern sich auf 498 reduziert: Meine Frau hat aus gesundheitlichen und durch Mehrbelastung entstehende Gründe vorzeitig das Handtuch geworfen und auch ich werde mit 63 in den Vorruhestand wechseln.
Detlef B.
Lasst euch nicht den Mund verbieten!
Bei uns an der Schule ist es konkret so, dass fast alle regelmäßig die vier möglichen zusätzlichen Stunden pro Woche „abdienen“ müssen, weil es sonst nicht mal für fünf Stunden täglich in allen Klassen reicht. Wann hat Frau Feußner jemals 29 Stunden pro Woche in der Schule gearbeitet? „Auf eines fremden Mannes Arsch ist gut durchs Feuer reiten.“ … Bitte lasst Euch da nicht den Mund verbieten!!! Herr Haseloff verspricht, dass diese zusätzlichen Stunden irgendwann auch als Freizeit ausgeglichen werden könnten, z. B. auch mit zeitigerer Rente ... „Die Worte hör‘ ich wohl, jedoch mir fehlt der Glaube.“… Aber Hauptsache die Aussage, „es wurde hervorragende Arbeit geleistet“ – Von wem??? Von Seiten der Fakten ignorierenden Entscheidungsträger der vergangenen 15 Jahre? … Politikverdrossenheit, „Fake News“, Vorbehalte … Wer wundert sich darüber denn noch?
Martina W.
Ein funktionierendes Maßnahmenpaket – oder etwa nicht?
Täuscht der Eindruck, dass die Arbeitszeiterhöhung großenteils zu Lasten der älteren Kolleg*innen geht? Die größte Altersgruppe im Schulbereich sind Beschäftigte über 50. Dies hier ist eine Zusammenfassung der heroischen Maßnahmen der Landesregierung in den letzten Jahren: Streichung der Altersermäßigung ab 55 Jahre (die gab es wirklich!), Streichung der Altersteilzeit, Streichung der Altersanrechnung ab 60, Altersanrechnungen sollen die zusätzlichen altersmäßigen Belastungen ausgleichen. Die Folge davon ist, dass Beschäftigte mit 63 Jahren ihr Arbeitsverhältnis in Größenordnungen kündigen, um den Belastungen zu entkommen, statt bis 67 zu arbeiten und dann in Rente zu gehen. Finde den Fehler.
Sven Oeberst,
Vorsitzender der GEW Stendal
Wo bleibt der Respekt für die Lehrkräfte?
Unfassbar – jetzt sind wir Lehrkräfte wieder bei der Pflichtstundenzahl von 1870. Während in der Corona-Pandemie noch von mehr nötigem Respekt gegenüber den Leistungen der Lehrkräfte die Rede war, hat Ministerpräsident Haseloff den letzten Tabubruch vollzogen: zwangsweise Mehrarbeit. Auch wenn mit dem Trick der „Vorgriffstunde“ (Bezahlung oder Ansparung) eine blamable Niederlage vorm Gericht wie in Niedersachsen verhindert werden soll – die GEW Sachsen-Anhalt wird für ihre Mitglieder alle rechtlichen Mittel zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit ausschöpfen. Bezahlte oder angesparte Zusatzstunden müssen freiwillig bleiben! Wir sehen es nicht ein, die personalpolitischen Fehler der Vergangenheit alleine auszubaden. Im März verhandelt übrigens der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über den deutschen Alleingang in Sachen Beamtenstreikrecht und im Herbst sind Tarifverhandlungen ...
Malte Gerken,
Stellv. Vorsitzender der GEW Sachsen-Anhalt
Erholung adé?
Aus einer Zeitung zu erfahren, dass Lehrkräfte verpflichtet werden sollen, Mehrstunden zu leisten, ist beschämend und kennzeichnet den würdelosen Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen. Nicht die Schulen haben das Problem verursacht, jedoch werden sie für eine jahrzehntelang verkorkste Bildungspolitik abgestraft. Wenn diese par ordre du mufti schon unmittelbar nach den Winterferien umgesetzt werden soll, können wir unseren eingereichten Urlaub jetzt gleich ausfallen lassen – Erholung adé!
Sven Lewy,
Vorstandsmitglied für Organisationsentwicklung der GEW Sachsen-Anhalt
Die Vorgriffstunde oder wer länger arbeitet, bleibt auch gern länger im Job
„Sachsen-Anhalt #moderndenken“ lautet der aktuelle Werbeslogan für Sachsen-Anhalt. Modern denken und stockkonservativ handeln, bekommt man hierzulande offensichtlich ganz locker unter einen Hut, wobei ich beim modernen Denken mitunter so meine Zweifel habe. Jedenfalls hat unsere findige Landesregierung nach jahrelangem verzweifeltem Grübeln über die Misere Personalmangel nunmehr spontan die ultimative Patentlösung aus besagtem Hut gezaubert. Und die lautet schlicht: Man verordne den Lehrkräften doch einfach eine Arbeitszeiterhöhung um eine Stunde, und schon ist die halbe Lücke geschlossen! Also Mut zur Lücke sozusagen! Und die andere Hälfte der Lücke schütte man einfach zu mit fiktivem Subpersonal, das die Schulleitungen von der Straße weg einstellen können, um die selbstverständlich immer lernwilligen Schüler*innen bei der Abarbeitung von Aufgaben zu beaufsichtigen, welche von Vorgriffstundenkolleg*innen vorher in ihrer 27. bzw. 29. Stunde erstellt wurden und in ihrer 28. und 30. Stunde ausgewertet werden (Zitat Haseloff: „Die werden dann einen Lösungszettel haben.“). Müssen jene eigentlich eine Ausbildung haben, ein Führungszeugnis besitzen oder kann das auch der Dealer des Vertrauens sein? Hinzu kommt eine bessere Betreuung von Langzeitkranken, die beim Lesen der Nachricht allerdings sofort wieder ins Koma fallen dürften. Aber halt: Es ist ja gar keine Erhöhung der Regelarbeitszeit, sondern nur eine „Vorgriffstunde“ mit begrenzter Haltbarkeit. Und die wird sofort wieder aufgehoben, wenn die Unis wieder genügend Lehrkräfte emittiert haben. Wie lange dauert doch gleich ein Lehramtsstudium? Also, wer’s glaubt …
Leider ist nicht einmal die Wortschöpfung „Vorgriffstunde“ auf dem fruchtbaren Bördeboden gewachsen. Bei der Suche nach innovativen und nach Möglichkeit gerichtsfesten Lösungen schaut man gern auch mal über die Landesgrenzen hinweg. Derartige Konstrukte erlitt man z. B. schon einmal ab 1997 in Nordrhein-Westfalen und ab 1998 in Baden-Württemberg. Da fällt mir ein: Gab es 1997/98 denn eigentlich schon die Flüchtlingskrise und das „Aufholen nach Corona“? Strömten da auch schon Woche für Woche traumatisierte ukrainische Schüler*innen auf der Flucht vor dem barbarischen Krieg in unsere Klassenzimmer? Wie war das mit Inklusion und Gemeinsamem Unterricht? Reizüberflutete Kids in den Schulen? Bürokratie? Ach egal – was unsere weise Landesregierung (uns an-)tut, ist wohlgetan! Wie hieß es immer wieder? Wir planen keine Arbeitszeiterhöhung! Aber was stört mich mein Geschwätz von gestern in der Pressekonferenz von heute! Besonders gelungen übrigens: Im gleichen Atemzug verkündete man das Evangelium von A 13/E 13 für Grundschullehrer*innen. Die Kombination beider Maßnahmen wird Absolvent*innen scharenweise in unser Land locken! Die 13 allein hätte es sicherlich getan ... Das Ganze dürfte angesichts der Altersverteilung unseres Lehrpersonals eine großzügige Einladung zum vorzeitigen Renteneintritt werden. Es gab interessanterweise im Vorfeld auf Einladung der Ministerin eine Besprechung mit der GEW und den anderen Berufsverbänden, in deren Ergebnis ein gemeinsames Papier mit durchdachten Vorschlägen entstand. In der Pressekonferenz bedankte sich Frau Feußner dann auch pauschal für die vielen guten Vorschläge, welche hernach wohl mutmaßlich in der Tonne (so hieß übrigens der letzte Kultusminister von Niedersachsen) gelandet sind, denn die gutsherrlich verkündeten Maßnahmen waren da schon längst der ministeriellen Schublade entflohen.
Die GEW wird sich das alles gut merken und bedankt sich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit! Der vorherige Slogan Sachsen-Anhalts lautete übrigens: „Wir stehen früher auf!“ Denn wer früher aufgestanden ist oder noch immer aufsteht, darf nun auch länger bleiben ...
Stefan Hofmann,
Vorstandsmitglied für Organisationsentwicklung der GEW Sachsen-Anhalt